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Gerechtigkeit nach dem Trauma?

Von Klaus Huhold

Politik

Nur die höchsten Kader müssen mit Anklage rechnen. | Terrorherrschaft verursacht bis heute psychische Leiden. | Phnom Penh/Wien. In Kambodscha kommen Knochen aus der Erde. Es herrscht gerade Regenzeit, das Wasser spült den Boden von den im ganzen Land verstreuten Massengräber weg und schwemmt die Überreste der Opfer der Roten Khmer an die Oberfläche. Zu sehen sind zertrümmerte Hinterschädel. Menschen mussten sich vor einer Grube aufstellen und der Reihe nach schlugen ihnen die Schergen des Pol Pot-Regimes mit Bambusstöcken den Kopf ein. Von 1975 bis 1979 wütete in dem südostasiatischen Land ein staatlich verordneter Massenmord, rund zwei von damals sieben Millionen Kambodschanern fielen dem kommunistischen Regime zum Opfer.


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Doch nun soll nicht nur die alljährliche Regenzeit die Vergangenheit emportreiben: Ein Tribunal gegen die Roten Khmer kann Ende des Jahres die ersten Prozesse eröffnen, nachdem sich kambodschanische und ausländische Juristen erst kürzlich auf eine Verfahrensordnung geeinigt haben (siehe Artikel unten).

Die Anklage wegen Völkermords soll sich jedoch auf die allerhöchsten Ränge beschränken, um die zehn Mann. Der "Bruder Nummer eins", Pol Pot, starb bereits 1998 im kambodschanischen Dschungel. Doch andere Führungskader leben noch: Ex-Präsident Khieu Samphan verbringt seinen Lebensabend unscheinbar in einem kleinen Häuschen in Phnom Penh, Ex-Außenminister Ieng Sary ist gar ein erfolgreicher Geschäftsmann. Sie profitierten von einer Amnestie, die in den 90er Jahren für eine Aufgabe des Guerilla-Kampfes gewährt wurde. Diese kann nun vom Tribunal aufgehoben werden.

Die mögliche Anklage im Nacken, machen sich Khieu und Ieng heute klein. Sie behaupten, dass sie keinen Einfluss gehabt hätten und von dem Morden nichts wussten. "Ich war nie mehr als ein einfacher Mann, der versuchte, für sein Land seine Pflicht zu tun", schrieb Khieu in einem offenen Brief an das Volk.

Brille war Todesurteil

Dabei gehörte er genau so wie Ieng zum innersten Führungszirkel rund um Pol Pot, dem sogenannten Angkar, der die ideologische Linie vorgab. Kambod-scha sollte von allen ausländischen Einflüssen abgeschottet und zu einem reinen Agrarstaat werden. Städte wurden entvölkert, die Menschen in eine schwarze Einheitskleidung gezwängt und zur Fronarbeit am Land verpflichtet. Intellektuelle galten als Feinde, das Tragen einer Brille kam einem Todesurteil gleich. In jedem sah das paranoide Regime einen potenziellen Saboteur. Kambodscha war zerstört: Fast ein Drittel der Bevölkerung starb an Unterernährung, mangelnder medizinischer Versorgung oder wurde ermordet. Die Vietnamesen setzten dem Steinzeitkommunismus durch ihren Einmarsch 1979 ein Ende, brachten eine neue Regierung an die Macht und zogen sich nach zehn Jahren wieder zurück.

Die Schatten der Vergangenheit sind jedoch geblieben: Fast jeder Kambodschaner hat Angehörige verloren und viele Menschen leiden bis heute unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Sie sind verängstigt, haben Nervenleiden und Alpträume.

Sotheara Chhim, Leiter des psychosozialen Instituts TPO, ist täglich mit einer traumatisierten Nation konfrontiert: Er befürchtet, dass die psychischen Leiden durch das Tribunal wieder verstärkt zu Tage treten könnten. Es wird daher schon an den ersten Betreuungsprogrammen für die Zeugen des Gerichts gearbeitet.

Gleichzeitig wird der Prozess aber zu einer offeneren Aufarbeitung der Vergangenheit beitragen, sagt Wolfgang Meyer, der seit drei Jahren für die Konrad Adenauer-Stiftung in Phnom Penh arbeitet. Denn noch werden die Geschehnisse der Pol Pot-Zeit kaum erwähnt, im Schulunterricht gibt es kein Curriculum dafür.

Tiefes Misstrauen

"Es ist wie eine Konspiration, die Leute vermeiden es, offen über die Zeit der Roten Khmer zu sprechen", berichtet auch Sotheara im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Überlebenskampf in dem armen Land verdrängt oft die Vergangenheit. "Außerdem sitzen bei vielen die Wunden noch zu tief und der Genozid hat ein tiefes Misstrauen zwischen den Menschen hinterlassen", erklärt Sotheara. Zumal Opfer und Täter von damals heute Nachbarn sind.

Viele Kambodschaner hoffen, dass das Schweigen nun aufgebrochen wird: Einer Umfrage des "Khmer Institut für Demokratie" zufolge befürworten 94 Prozent das Tribunal. "Die Menschen wollen wissen, wer verantwortlich ist, was Kambodschanern anderen Kambodschanern angetan haben", sagt Sotheara. "Die Opfer erhoffen sich ein wenig Erlösung", meint Meyer.

Kein Schuldgefühl

Doch haben die Opfer auch große Bedenken: Dass nur die höchsten Ränge vor Gericht stehen sollen, stößt einigen sauer auf. "Viele Menschen sagen, dass es für sie eine größere Erleichterung wäre, wenn der Mörder ihres Ehepartners sich verantworten müsste", berichtet Sotheara.

Doch kaum einer der kleinen Schergen der Roten Khmer fühlt sich schuldig, berichtet Heng Sinith. Der Fotograf spürte die Befehlsempfänger auf und ließ sie in einer Dokumentation zu Wort kommen. Sie sehen sich als Opfer, die umgebracht worden wären, hätten sie nicht selbst getötet.