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Gerechtigkeit, von links betrachtet

Von Walter Hämmerle

Politik

Sind rechte Wähler amoralisch und Koalitionen mit der FPÖ zulässig?


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"Wiener Zeitung": Als Philosoph widmen Sie sich angewandten und theoretischen Fragen politischer Ethik. Gleichzeitig sind Sie überzeugter Sozialdemokrat. Man kann also annehmen, dass Sie in der SPD die ethisch beste Wahl sehen. Folglich müssten dann ja Wähler anderer Parteien, sagen wir von CDU und ÖVP oder FDP und FPÖ, in Ihren Augen einen moralischen Makel aufweisen?Julian Nida-Rümelin: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Parteien. Vielmehr gibt es Menschen, denen sind Fragen gleicher Anerkennung, gleichen Respekts wichtig, und anderen eben nicht. Denen geht es dann um ökonomische Effizienz, um die Mehrung ihrer Güter und sie rechtfertigen das damit, dass Ungleichheit ohnehin naturgegeben sei. All das lässt sich aber nicht so leicht mit politischen Parteien assoziieren. Für mich, wobei auch das nicht unumstritten ist, ist es der programmatische Kern der Sozialdemokratie, für Bedingungen gleicher Freiheit, gleicher Würde, gleichen Respekts zu sorgen. Hier gibt es zu den Christdemokraten in Deutschland und wohl auch in Österreich nicht mehr so gravierende Unterschiede wie früher, tatsächlich haben sich diese in vielen Bereichen sozialdemokratisiert.

Was ist gerecht daran, wenn jemand bei guter Gesundheit mit Anfang, Mitte fünfzig in Pension gehen kann?

Das ist nicht gerecht, deshalb bin ich auch der Meinung, dass schon aus Gründen der Solidarität der durchschnittliche Eintritt in den Ruhestand nach oben verlagert werden muss. Ansonsten entsteht Ungerechtigkeit, indem den Jungen noch größere Belastungen aufgebürdet werden, als sie ohnehin schon tragen müssen. Deshalb plädiere ich - gegen einen starken Trend in der Sozialdemokratie - dafür, das Pensionsantrittsalter anzuheben, allerdings nicht einheitlich per Gesetz, sondern flexibel durch Anreize für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen.

Jede Partei hat Probleme, Politik gegen die eigene Kernklientel zu betreiben. Relativiert das nicht den von den Parteien selbst erhobenen Anspruch auf Gerechtigkeit?

Meiner Einschätzung nach sind die Gerechtigkeitsvorstellungen der Sozialdemokratie jetzt, nach dem Höhepunkt der Finanz- und Euro-Krise, zumindest in den meisten westeuropäischen Staaten mehrheitsfähig. Das zeigen auch die jüngsten Wahlergebnisse in Frankreich, in Italien, auf Landesebene auch in Deutschland. Dass das nicht für alle sozialdemokratischen Bewegungen gilt, liegt daran, dass viele konservative Parteien erfolgreich auf diesen Zug aufgesprungen sind. Jetzt muss die Sozialdemokratie beweisen, dass sie nicht nur in ihrem Kernbereich, dem Ausbau des Wohlfahrtsstaats, erfolgreich Politik machen kann, sondern auch finanz- und wirtschaftspolitisch. Hier haben einige sozialdemokratische Parteien ihre Probleme, wie man gerade in Frankreich sieht.

Sie interpretieren den Pendelschwung bei vielen Wahlen ideologisch; die andere Sichtweise wäre, dass jene Parteien abgestraft werden, die jeweils an der Macht sind. In Griechenland, in Großbritannien, in Spanien kamen konservative Parteien an die Regierung.

Ich sehe das anders: Die Menschen denken heute anders über das Verhältnis von Staat und Wirtschaft als vor der Krise, das betrifft längst auch bürgerliche und liberale Parteien. Überall dort, wo andere Parteien auf diese Entwicklung reagieren, kann es sein, dass Sozialdemokraten bei Wahlen die Leidtragenden sind.

Es steigt allerdings auch der Anteil der Protestwähler: In Österreich erhält die FPÖ Konkurrenz von der neuen Partei des Milliardärs Frank Stronach, in Italien gewinnt ein Komiker 25 Prozent, in Frankreich profitiert der Front Nationale, in Griechenland die extreme Linke. Woher kommt dieser Frust?

Die Menschen sehen die Ohnmacht der politischen Akteure und vergleichen diese noch mit den vollmundigen Ankündigungen aus dem Wahlkampf; hinzu kommen Verfehlungen von Einzelnen oder der gesamten politischen Klasse. Von dieser Gemengelage profitieren Populisten aller Lager. Es ist eine Herausforderung für jeden Politiker, in Wahlauseinandersetzungen auch die Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten offen auszusprechen. Nationalstaaten können nicht mehr auf sich gestellt über ihren Kurs bestimmen. Es braucht Wahrhaftigkeit in der politischen Rhetorik und die Einsicht, dass ein gemeinsames Europa unseren Handlungsspielraum nicht einengt, sondern erweitert.

Unser Wohlstand, der Sozialstaat, ist, trotz einer historisch beispiellosen Friedensperiode, großteils auf Schulden aufgebaut. Kann Politik diesen Kreislauf durchbrechen?

Deutschland hat die Schuldenbremse ab 2020 mit Verfassungsrang festgeschrieben, daran kommt in Zukunft keine Partei mehr vorbei. Die Theorie Keynes ernst genommen bedeutet nicht ständig steigende Schulden, sondern einen Stabilisierungsmechanismus, der allein schon durch den Sozialstaat garantiert wird, der ja antizyklisch wirkt. Für mich liegt auf der Hand, dass eine Schuldenbremse unter europäischer Ägide unumgänglich ist, um die Verschuldung der EU-Staaten unter Kontrolle zu halten. Daraus folgt aber nicht, dass man, wie es jetzt etwa in Griechenland geschieht, durch eine überzogene Austeritätspolitik in einer Krise diese Krise noch weiter verschärfen darf.

Was ist los mit der deutschen Bildungspolitik, dass deutsche Studenten in Massen an die österreichischen Universitäten pilgern und hier unseren Studenten die Studienplätze wegnehmen?

In ganz Europa sollte es das Leitprinzip sein, wonach das Geld den Studierenden folgt: Das Heimatland eines Studenten würde dann auch die Kosten des Studiums übernehmen, egal, wo dieses absolviert wird. Aber das ist derzeit auch innerhalb Deutschlands, wo die Bildungspolitik Sache der Länder ist, nicht umsetzbar. Wäre dies der Fall, gäbe es dieses Problem nicht länger.

Sind praktizierende Philosophen bessere Politiker?

Nein. Ein engerer Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik käme aber allen zugute. Es gibt zu viele, die Politik schon in jungen Jahren zu ihrem Beruf machen und dort dann ein Leben lang bleiben. Und es gibt zu wenige, die in anderen Bereichen erfolgreich sind und dann für eine gewisse Zeit in die Politik wechseln.

In Österreich ist, wer einmal politisch aktiv war, für den Rest seines Lebens einschlägig punziert.

Das ist kein gutes Zeichen für die Demokratie, wenn solches Engagement als Makel empfunden wird. Es braucht Berufspolitiker, aber ihr Anteil ist viel zu hoch.

Wie moralisch muss Politik sein? In Deutschland fällt der Kanzleranspruch der SPD womöglich mit der Akzeptanz der Linkspartei, die aus dem Zusammenschluss von Gewerkschaftern und der SED-Nachfolgepartei entstanden ist, als Koalitionspartner; in Österreich ist die Frage wild umstritten, ob die FPÖ ein legitimer Koalitionspartner ist.

Moralisch lässt sich das nicht so leicht beurteilen, es kommt auf das Maß an. Mit einer Linkspartei, die allenfalls sporadisch noch Reste des alten Spitzelsystems aufweist, kann man, so finde ich, zumindest auf Landesebene koalieren. Auf Bundesebene stehen dem programmatische Differenzen in der Außenpolitik entgegen, etwa in Bezug auf EU und Nato. Auch bei der FPÖ muss man genau hinschauen. Eine Koalition mit Jörg Haider, den ich für einen wirklich gefährlichen Populisten erachtet habe, wäre für mich aufgrund seiner starken antidemokratischen Züge nicht infrage gekommen; solche Tendenzen sehe ich bei Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine so nicht; antidemokratische und populistische Tendenzen gibt es zwar bei der Linkspartei vereinzelt an der Basis, aber nicht an der Spitze.

Ist Heinz-Christian Strache für die deutsche Öffentlichkeit ein Thema?

Nein, derzeit ist das aus meiner Sicht kein Thema.

Zur Person



JulianNida-Rümelin

wurde 1954 in eine Münchner Künstlerfamilie hineingeboren. Als Professor für Philosophie beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der Ethik für Wirtschaft und Politik. Daneben ist er auch politisch für die SPD aktiv. So war er von 2001 bis 2002 Staatsminister für Kultur und Medien und gehört als Leiter der SPD-Grundwertekommission auch dem Bundesparteivorstand an. In Wien war Nida-Rümelin auf Einladung des Karl-Renner-Instituts.