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Hohe Staatsschulden und sinkendes BIP: Italiens Wirtschaftskrise ist ernst.
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Rom. Die meisten Akteure der italienischen Politik verhalten sich, als lebten sie unter einem Glassturz. Sie kreisen um sich selbst, es geht ihnen vor allem um Eigeninteressen. Wie kann man sich am Besten für den kommenden Wahlkampf positionieren? Welche taktischen Manöver bringen Konsens? Wie bekommt man den Kopf aus der Schlinge? Schneller als gedacht könnte sie nun die harte Realität einholen.
In Rom hat man sich an Hiobsbotschaften gewöhnt. Das Land durchlebt die dritte schwere politische Krise innerhalb von zwei Jahren. Enrico Letta steht der 62. Regierung der Nachkriegszeit vor, Machtwechsel sind Alltag geworden. Verbreitet ist die Ansicht, auch Italien würde letztendlich von der günstigeren Konjunktur in Europa profitieren und könnte seinen Schuldenberg stemmen, wenn nicht sogar abtragen. Jetzt entlastet auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Haushalt. Das Finanzministerium kann mit weiteren, dringend benötigten vier Milliarden Euro kalkulieren.
Doch für Entspannung gibt es keinen Grund: Die Staatsverschuldung stieg auf zwei Billionen Euro - 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), die Neuverschuldung entgegen den Planungen erneut auf über drei Prozent des BIP. Um nicht von den Schulden erdrückt zu werden, benötigt das Land Wachstum. Doch die Wirtschaft kommt nicht voran. Italien befindet sich in der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, gerechnet wird mit einem Rückgang der realen Wirtschaftsleistung um zwei Prozent auch in diesem Jahr. Die Arbeitslosenquote liegt bei zwölf Prozent, 40 Prozent aller Jugendlichen sind arbeitslos. Nicht zuletzt ist die Industrieproduktion seit 2007 um ein Viertel geschrumpft, investiert wird kaum noch. Die Lage ist so ernst wie lange nicht.
Hoffen auf Draghi
Dennoch lehnen sich viele Akteure aus den verschiedensten politischen Lagern zurück. Sie verweisen auf die in Europa installierten Schutzmechanismen gegen die Schuldenkrise sowie die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, die die Zinsen niedrig hält. EZB-Chef Mario Draghi, selbst ein Italiener, wird in Rom als Garant für die Stabilität der italienischen Staatsfinanzen gesehen. Er stellte den unbeschränkten Kauf von Staatsanleihen von Ländern in Aussicht, die auf den Finanzmärkten in Turbulenzen geraten. Für trügerische Entspannung sorgt auch, dass sich der Risikozuschlag für zehnjährige Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen auf einem wesentlich niedrigeren Niveau befindet als im Krisenjahr 2011. Damals betrug der sogenannte Spread knapp 600 Punkte, heute ist der Abstand weniger als halb so groß. Die Rendite italienischer Staatstitel lag auch am Dienstag unter 4,6 Prozent. Diese Signale sorgen dafür, dass der Reformdruck auf die italienische Politik sinkt. Irgendwie kommen wir schon durch, lautet das Motto derjenigen, die in Rom Verantwortung tragen.
Es stellt sich die Frage, wie lange es wirtschaftlich weiter bergab gehen kann, ohne dass es zum Äußersten, also zum Staatsbankrott kommt. Die Schuldenlast drückt weiter. Entscheidend ist das Vertrauen, das Italien an den Finanzmärkten genießt. Und das Vertrauen der maßgebenden Ratingagenturen hängt von den politischen Verhältnissen ab. Die Agenturen "Moody’s" sowie "Standard&Poor’s" stufen Italiens Bonität nur noch zwei Stufen über Ramschniveau ein, weitere Abstufungen könnten bald folgen. Noch hegen auch die Anleger die Hoffnung, die Regierung könne von Abtrünnigen aus der rechtsliberalen PdL von Silvio Berlusconi profitieren und weitermachen. Doch eine auf Überläufer gestützte Regierung ist keine schlagkräftige Exekutive, die wichtige Entscheidungen fällen muss. Bis 15. Oktober muss das Haushaltsgesetz verabschiedet werden. Italien braucht Reformen, die nicht mit knappen Mehrheiten zu verwirklichen sind. Die Staatsausgaben müssen weiter sinken, staatliche Beteiligungen verkauft werden, das von der Politik kontrollierte und ineffiziente Bankensystem liberalisiert werden. Auch der Arbeitsmarkt ist weiterhin zu starr. Diese wichtigen Änderungen können nur durch stabile politische Verhältnisse und deutliche Mehrheiten erreicht werden. Davon ist Italien so weit entfernt wie lange nicht.