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Gerhard Schröder hat Oberwasser

Von Uta Winkhaus

Politik

Berlin - Gerhard Schröder hat Oberwasser. Seit sich das Hochwasser zur Jahrhundertflut entwickelt hat, beherrscht der Kanzler die Szene. Fast täglich tritt der Regierungschef vor die Medien, mahnt, appelliert, entscheidet, verkündet. Mit jedem Tag scheint die Union stärker in die Defensive zu geraten. Jüngstes Beispiel: Fast freudig griff der SPD-Chef am Mittwoch die Forderung seines Herausforderers Edmund Stoiber auf, Kapitalgesellschaften höher zu besteuern: Ihm sei jeder Beitrag zum Wiederaufbau recht.


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Das Timing des Kanzlers erlaubt der Opposition fünf Wochen vor der Bundestagswahl kaum eine Atempause. Vergangenen Freitag nahm er das Konzept der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit entgegen. Sonntag lud er zum mitteleuropäischen Hochwassergipfel nach Berlin. Montagabend traf sich das Bundeskabinett zur Sondersitzung. Und Schröder landete seinen bisher größten Überraschungscoup: Die nächste Stufe der Steuerreform wird um ein Jahr verschoben, damit werden 6,9 Milliarden Euro zur Beseitigung der Flutschäden mobilisiert. Die Union wurde kalt erwischt. Kanzlerkandidat Stoiber erklärte sich zwar gesprächsbereit, warf der Bundesregierung aber zugleich vor, die Verschiebung sei sozial ungerecht. Es leuchte ja wohl jedem ein, dass Handwerk und Einzelpersonen nicht die ganze Last tragen könnten, meinte CDU-Chefin Angela Merkel. Stoiber verlangte daher Nachbesserungen: "Ein Solidarbeitrag muss auch auf den Schultern der Kapitalgesellschaften ruhen."

Schröder nahm den Ball auf, und zwar als Steilvorlage: Wenn die Union im Bundesrat Ergänzungen für notwendig halte, habe die Regierung "kein Problem" damit, betonte er am Mittwoch nach der Kabinettssitzung in Berlin. Kein Wunder: Dass Steuererhöhungen für Großunternehmen auch in der SPD Beifall finden - wer mag das bezweifeln.

Die Strategie Schröders ist nicht neu, aber wirksam: Die Opposition umarmen, bis ihr der Atem stockt. Die geplante Verschiebung der Steuerreform hat Stoiber nämlich in die Zwickmühle gebracht. Lehnen die Unions-regierten Länder den Vorstoß im Bundesrat ab, müssen sie fürchten, in einer nationalen Notsituation als Blockierer dazustehen. Stimmen sie zu, stärken sie Schröders Image als Konsenskanzler.

Das Hochwasser und die Folgen spült zurzeit fast alle anderen Themen fort. Kein Wunder, dass die Union ihre für Donnerstag geplante Präsentation von Stoibers Sofortprogramm kurzfristig abgesagt hat. Für Donnerstagabend hatte Schröder die Ministerpräsidenten zu einer Hochwasser-Sondersitzung ins Kanzleramt geladen, also auch Stoiber.

Nach dem Fernsehduell zwischen Schröder und Stoiber am Sonntag ist für Donnerstag nächster Woche eine Bundestags-Sondersitzung beantragt, auf der die Gesetzesänderung in erster Lesung beraten werden soll. Der Kanzler will eine Regierungserklärung zum Hochwasser abgeben. Noch vor der Bundestagswahl soll die Verschiebung der Steuerreform durch den Bundesrat.

Deutschland steht zusammen, gemeinsam werden wir die Krise bewältigen - das ist das Bild, das die Wahlkämpfer der SPD jetzt nur zu gern befördern wollen. Schröder gab noch einmal die Melodie vor: Der Zusammenhalt sei enorm gewachsen, das sei das beglückende an der Situation. "Es wird wirklich angepackt!"