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"Gerne werde ich es widerrufen"

Von Stephan Beig

Politik

Der umstrittene Imam Adnan Ibrahim im WZ-Interview. | "Habe Meinung zu Misch-Ehen wieder geändert".


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"Wiener Zeitung": Auf Ihrer Homepage haben Sie gleich drei Titel: Exzellenz, Scheich, Gelehrter. Ist das in so jungen Jahren nicht ungewöhnlich in der islamischen Welt?Adnan Ibrahim: Diese Titelvergabe ist seit hunderten Jahren nichts Ungewöhnliches. Sie war bei vielen Gelehrten üblich und hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit Kompetenz und Wissensgrad des Trägers.

Warum haben Sie die Hidaya Moschee am Wiener Nestroyplatz verlassen?

Es gab Meinungsverschiedenheiten mit der damaligen Moschee-Verwaltung. Ich habe die Moschee mit den meisten Menschen, die jetzt in der Schura Moschee beten, verlassen.

Nach unseren Informationen war Ihre politisierende Rede auf Widerstand gestoßen und ausschlaggebend für ihren Weggang.

Das ist falsch.

Diese Moschee ist eine wichtige Moschee der Glaubensgemeinschaft?

Präsident Schakfeh besucht diese Moschee wie jede andere auch. Richtig ist, dass wir zur Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) sehr gute Kontakte pflegen und uns bemühen, in Harmonie zu leben.

Ist es nicht schwierig, angehende Islamlehrer an der Religionspädagogischen Akademie (IRPA) auf Österreichs Schulen vorzubereiten, wenn Sie nicht ausreichend Deutsch können?

Ich unterrichte auf Arabisch, aber wenn mich jemand nicht versteht, versuche ich Deutsch zu reden. Arabisch ist eine sehr wichtige Komponente beim Islamunterricht.

Aber die meisten Muslime in Österreich sind Türken und Bosniaken, die nicht Arabisch sprechen.

Nicht nur in Österreich, sondern auch in Pakistan und überall gilt: Wer sich in den Islam vertieft, hat ein Mindestmaß an Arabischkenntnissen zu bekommen.

Ist für Sie Österreich ein "Haus des Islam" oder ein "Haus des Krieges"?

Seit ich hier bin, betrachte ich alle westlichen Länder nicht als Haus des Krieges, natürlich auch nicht als Haus des Islam. Ich war immer ungehalten über Auslegungen, die etwa England oder Dänemark zu einem Haus des Krieges erklärten und zu Steuerhinterziehung und Schwarzfahren in der U-Bahn aufriefen.

Wie vereinbaren Sie ihren liberalen Ruf damit, als Hamas-freundlich zu gelten?

Ich möchte mit aller Klarheit betonen, dass ich nicht von der Hamas oder der Hisbollah bin und zu keiner islamischen Partei gehöre. Ich war und bin immer gegen jegliche Besatzung. Ich habe Solidarität mit Personen, die die Besatzung bekämpfen, seien es Muslime, Christen, Liberale, Kommunisten oder wer auch immer. In diesem Zusammenhang unterstütze ich Hamas und Hisbollah, solange sie laut UN-internationalem Recht gegen Besatzer kämpfen. Natürlich sind diese Widerstandskämpfer nicht Propheten. Sie machen Fehler, sie bringen Zivilisten um, gehen kriminell gegen Zivilisten vor, aber demgegenüber bringen auch die Besatzer Zivilisten um und zerstören sogar Spitäler. Wir haben immer Gewalttaten gegen Zivilisten abgelehnt. Würden Sie zögern, Personen, die gegen Besatzer in Österreich kämpfen, als Helden zu bezeichnen?

Selbstmordattentate würde ich immer verurteilen.

Alles, was gegen Zivilisten gerichtet ist, ist eine zu verurteilende Handlung.

Was hat Österreich mit dem Nahostkonflikt zu tun?

Wer beschuldigt einen Denker, über die Rechte von Minderheiten zu reden? Soll es uns verboten sein, darüber zu sprechen? Bei den Freitagspredigten kommen auch weltpolitische Themen zur Sprache, nicht nur Nahostthemen.

Es heißt, der Großteil Ihrer Predigten sei politisierend und fordere zur Unterstützung von Terroristen im Irak und in Palästina auf.

Das ist eine Lüge. Ein Zehntel des Inhalts ist politisch. Es wäre eine Verleumdung, ich würde irakische Terroristen unterstützen. Attentate gegen Sunniten wie Schiiten habe ich verurteilt. Meine ablehnende Haltung gegenüber Osama bin Laden, Zaraqawi und Al Quaida ist bekannt.

Was meinen Sie in Ihrer Verehelichungs-Fatwa mit dem Aufruf: "Meine ägyptischen Brüder, heiratet keine Fremde"? Das klingt nach Muslimbruderschaft.

Im Alten AKH habe ich am 1. Dezember 2006 bei einem Vortrag von "meinen christlichen Geschwistern" gesprochen. Bin ich jetzt Christ? Der Islam lehrt, dass alle Menschen Geschwister sind.

Wie denkt Ihre Schwägerin, die als Christin mit Ihrem Bruder verheiratet ist, über Ihrer Verehelichungs-Fatwa?

Diese Fatwa wurde vor zehn Jahren geschrieben. Ich war damals seit fünf Jahren in Österreich und hatte erlebt, dass hier Ehen in die Brüche gehen. Deshalb riet ich damals von solchen Heiraten ab. Ich habe die Fatwa wie viele andere mitgetragen, sie entspricht aber nicht meiner heutigen Meinung. Einige Jahre nach der Fatwa habe ich gesehen, dass das nicht passend für das Leben hier ist. Deshalb habe ich verboten, dass das publiziert wird.

Und wie denken Sie heute?

Wenn gesellschaftlich etwas passiert, das nicht förderlich ist, dann kann eine Fatwa dazu raten, etwas Erlaubtes nicht zu tun. Damals war ich wirklich - so wie auch andere Rechtsgelehrte - davon überzeugt, dass eine solche Ehe nicht eingegangen werden soll. Ich möchte Ihnen gerne erzählen, warum ich meine Meinung geändert habe: Damals, nachdem ich länger hier gelebt habe, bin ich darauf gekommen, dass es in den islamischen Ehen die gleichen Probleme gibt, wie in den gemischten und dass die Scheidungsrate bei den muslimischen Ehen genau so steigt. Außerdem wurden mir die Vorteile der gemischten Ehen bewusst: Patizipation, Integration, Staatsbürger sein.

Eine Fatwa wird nie ohne Wissen des Verfassers ins Internet gestellt. Sie muss widerrufen werden, um aufgehoben zu werden.

Gerne werde ich es schriftlich widerrufen. Ich bin dafür bekannt, dass ich meine Reden ungerne höre und meine Internet-Seite nicht überprüfe. Es sind meine Freunde von der Moschee, denen ich stets sage, dass wir nichts zu verstecken haben. Mit diesem gut gemeinten Vorsatz wurde alles, was sie in die Finger bekamen, veröffentlicht. Nun zeigt sich, dass das nicht richtig ist. Ich werde auf der Web-Seite manche Dinge entfernen.

Zur Person

Adnan Ibrahim wurde 1966 in Palästina geboren, wo er 1988 maturierte. In den folgenden zehn Jahren studierte er Medizin an der Uni Sarajewo, ohne das Studium abzuschließen. Seit 1994/95 lebt Adnan Ibrahim in Wien. Er absolvierte hier ein Fernstudium an der Al-Azwai Universität in Beirut und arbeitete Ende der 90er Jahre ein Jahr im Büro der Arabischen Liga. Danach wurde er Imam der Hidaya-Moschee beim Nestroyplatz. Seit 2000 unterrichtet Adnan Ibrahim an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie angehende Islamlehrer und ist Mitglied der IGGiÖ. Seit 2002 predigt er an der Schura-Moschee.

Der Imam im Interview: Hintergrund

Ort des Interviews mit Imam Adnan Ibrahim war ein Hinterzimmer der Schura-Moschee. Als Übersetzer fungierte Tarafa Baghajati, ein guter Freund Ibrahims. Der gebürtige Syrer ist Mitbegründer der "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen" und Ehemann von Carla Amina Baghajati, Pressereferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). "Herr Scheich Adnan Ibrahim ist ein wandelndes Lexikon", erklärte uns Baghajati. "Selbst Uni-Professoren, wenden sich an ihn, und er gibt ihnen sein Wissen weiter."

Beim Interview waren vier weitere Personen anwesend, darunter Mouddar Khouja, persönlicher Referent von IGGiÖ-Präsident Anas Schakfeh, der zur Übersetzung Baghajatis noch eigene Zusätze hinzuzufügen versuchte.

Adnan Ibrahim gab im Interview zu, dass beide Fatwas, deretwegen eine Strafanzeige gegen ihn eingereicht wurde, von ihm stammen. Seine Äußerungen zeigten, dass er seine Ansichten über interreligiöse Ehen in den letzten zehn Jahren geändert habe, auch wenn sich die Fatwa noch immer auf seiner Homepage befindet.

Während des Interviews legte ihm die "Wiener Zeitung" Inhalte eines Tonbands vor, das seine Freitagspredigt wiedergab. Zu hören waren Aufrufe zum Dschihad gegen feindliche Besatzer und die Aufforderung, als Märtyrer zu sterben, um ins Paradies zu kommen. Adnan Ibrahim bestritt weder, dass das Band seine Predigt wiedergebe, noch den Inhalt. Die Echtheit der Zitate stellte er nicht in Abrede.

Das Interview wurde bei der Übersetzung teilweise stark verändert. Wir drucken nur jene Passagen ab, wo sich gesprochener und übersetzter bzw. autorisierter Text nicht in wesentlichen Punkten widersprechen. Die weggefallenen Passagen bezogen sich u.a. auf Aussagen über die Verwendung der deutschen Sprache in der Religionspädagogischen Akademie. Außerdem wunderte sich Ibrahim darüber, dass Aussagen, die auf der Scharia basieren, von den Medien angegriffen werden.