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Gerüchte, Halbwahrheiten, Lügen

Von WZ-Korrespondent Philipp Lichterbeck

Politik

Im Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff haben führende Medien die Beobachterrolle aufgegeben.


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Rio de Janeiro. Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva spricht im Zentrum von Rio de Janeiro zu rund 10.000 Menschen. Sie protestieren gegen das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Lula da Silva greift in seiner Rede die brasilianischen Medien an, allen voran die Globo-Gruppe. Mit 122 Fernsehstationen, mehr als 80 Radiosendern, 15 Zeitschriften und 4 Tageszeitungen ist Globo der größte Medienkonzern Brasiliens. Sein Netz aus Fernsehsendern ist das zweitgrößte der Welt. Jeden Tag wird Globo TV von 91 Millionen Menschen eingeschaltet - das ist fast die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung. Seit ihrer Gründung 1925 wird die Globo-Gruppe von der Industriellenfamilie Marinho kontrolliert.

In seiner Rede wirft Lula den Marinhos vor, das Impeachment gegen Präsidentin Rousseff aktiv voranzutreiben. "Globo ist jede Lüge recht", ruft er mit heiserer Stimme und erinnert daran, dass der Konzern den Militärputsch von 1964 unterstützte und die anschließende Diktatur wohlwollend begleitete. Lulas Worte stoßen auf Widerhall, die Menge skandiert: "Das Volk ist nicht dumm - Globo muss fort!" Neben der Bühne hängt ein Plakat: "Globo raus!"

Doch in der Berichterstattung der Globo-Medien taucht von alldem nichts auf. Während die Anti-Dilma-Proteste ausführlich und enthusiastisch begleitet werden, handelt man die Demonstrationen für ihre Regierung unter "ferner liefen" ab. Und selbst unter neutralen Beobachtern ist es mittlerweile Konsens, dass die Massenmedien in Brasilien das Impeachment gegen Dilma Rousseff nicht nur befürworten, sondern antreiben. "Globo und andere Medien sind nicht neutral und keine bloßen Beobachter, wie sie gerne behaupten", schreibt der Journalist David Miranda in der englischen Zeitung "Guardian". Vielmehr seien sie Akteure.

Tatsächlich haben Globo und andere Medien in den vergangenen Monaten alles daran gesetzt, die Präsidentin in Verbindung mit dem Korruptionsskandal rund um die Erdölgesellschaft Petrobras zu bringen. Doch dutzende Ermittler und Journalisten haben Rousseff in monatelanger Arbeit kein kriminelles Verhalten nachweisen können. Sie mag eine schlechte, weil kommunikationsunfähige Präsidentin sein, und auch ihre Wirtschaftspolitik kann man für katastrophal halten. Doch ein Verbrechen - Voraussetzung für die Amtsenthebung - kann man ihr nicht anlasten. So müssen nun Haushaltstricks als Begründung herhalten.

Oppositionsführer geschont

Im Wissen, dass dies ein denkbar schwaches Motiv für einen so gravierenden Eingriff in die junge brasilianische Demokratie ist, überhäuft man Rousseff mit Gerüchten, Halbwahrheiten und Lügen. Schlimm ist dabei nicht, dass die Globo-Kommentatoren ununterbrochen erklären, es gebe nur eine Verantwortliche für Brasiliens aktuelle Misere: nämlich Rousseff. Dazu sind Meinungsbeiträge schließlich da. Erschreckend ist vielmehr die Manipulation des restlichen Programms.

Da werden in den Abendnachrichten 14 Minuten darauf verwandt, über ein abgehörtes Telefonat zwischen Rousseff und Lula da Silva zu spekulieren. Doch einer brisanten Liste des Baukonzerns Odebrecht widmet man nicht einmal zweieinhalb Minuten. Dabei stehen auf dieser Liste die Namen von 200 Politikern, die möglicherweise Schmiergelder erhalten haben. Rousseff ist nicht darunter, dafür aber Oppositionsführer Aecio Neves.

Die Liste ist ebenso schnell in der medialen Versenkung verschwunden, wie sie aufgetaucht war, und Globo weigert sich, die Namen der darin genannten Politiker zu nennen. Dabei ist auffällig, dass Korruptionsvorwürfen gegen Neves in den brasilianischen Medien nie nachgegangen wird, obwohl es dutzende Verdachtsmomente gegen ihn gibt.

Auch Vizepräsident Michel Temer wird mit Samthandschuhen angefasst. Sollte Rousseff abgesetzt werden, würde er der nächste Präsident Brasiliens. Globo berichtet bereits jetzt ausführlich über den vermeintlichen Retter. Offenbar will man die Brasilianer an den unbeliebten Temer gewöhnen, dem ebenfalls Korruption vorgeworfen wird.

104. im Pressefreiheitsindex

Zur Medienfront gegen Rousseff gehören auch "Folha de S. Paulo", die größte Zeitung des Landes, sowie "Veja", die größte Zeitschrift Brasiliens. Insbesondere "Veja" ist zu einer Art Kampfblatt der rechten, weißen Oberschicht geworden. Woche für Woche agitiert die Zeitschrift gegen Rousseff und Lula da Silva. Da werden die beiden auf dem Titelblatt gezeigt, dazu die Überschrift: "Sie wussten alles." Gemeint ist der Petrobras-Skandal. Doch einen Beweis bleibt "Veja" schuldig.

Die parteiische Berichterstattung hat die Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft weiter vorangetrieben. Auch von links wird dabei mit unlauteren Mitteln gearbeitet, insbesondere auf verschiedenen Internetportalen, die mit der Arbeiterpartei verbunden sind. Da werden dann die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen von Regierungsanhängern verzehnfacht und jeder Befürworter des Impeachments als "Putschist" diffamiert. Auch hier herrscht ein hermetischer Diskurs.

Wie schlecht es mittlerweile um die brasilianischen Medien steht, zeigt der vor wenigen Tagen erschienene Pressefreiheitsindex der Organisation Reporter ohne Grenzen. Brasilien landete dabei auf Rang 104, hinter Kuwait und Uganda. Als ein Grund für das schlechte Abschneiden wird genannt: "Der Medienbesitz ist stark konzentriert, speziell in den Händen großer Industriellenfamilien, die oft mit der politischen Klasse verbandelt sind."

Eine von Rousseff vorgeschlagene Reform, welche die Medienlandschaft demokratischer gestalten würde, bekämpft Globo mit aller Macht. Der Monopolkonzern behauptet, die Pressefreiheit würde dadurch bedroht.