Zum Hauptinhalt springen

Gerupfte Magier

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Politik vermag alles. Jedenfalls sehr, sehr viel und, manchmal, wenngleich zugegeben selten, gelingt es der Politik sogar, Unmögliches in die Tat zu setzen. Angesichts des heillosen Chaos um den Brexit droht diese bemerkenswerte Fähigkeit von Politik übersehen zu werden.

Das wäre ein großer Verlust, denn Politik baut sich - im Guten wie im Schlechten - die Welt, wie sie ihr gefällt. Allein durch die Kraft ihrer Argumente, die Aura ihrer Protagonisten, die Auswahl und Interpretation ihrer Fakten sowie durch ihre Fähigkeit, Menschen in Gläubige zu verwandeln, schafft sich die Politik eine Wirklichkeit zum eigenen Nutzen. Die im 20. Jahrhundert in Mode gekommene Spekulationen, dass es so etwas wie eine objektive Wirklichkeit gar nicht geben könnte, hat womöglich den Ehrgeiz mancher Politiker nur noch weiter befeuert, die Möglichkeiten dieser Idee auszutesten.

Wir sollten uns davor hüten, diese Kreativität lächerlich zu machen. Gewiss, dazu zählen auch Taschenspielertricks, um unermüdlich nach Auswegen aus ausweglosen Situationen zu suchen. Niemand kennt die Zahl der verhinderten Kriege und aufgelösten Krisen, nur weil mit allen Wassern gewaschene Diplomaten bei Spitz auf Knopf stehenden Verhandlungen einfach die Uhr angehalten haben.

Wo ein Wille, da ein Weg: Das gilt mehr als für alle anderen Bereiche gerade für die Politik. Allerdings stimmt dies umgekehrt: Ohne gemeinsamen Willen scheitert jede politische Lösung. Auch für diese Einsicht bietet die Geschichte des Brexit eine deprimierende Fülle an Anschauungsmaterial.

Zur Wunderbox Politik gehört jedoch auch zwingend die Möglichkeit, zu beinahe jeder Zeit eine neue Runde, einen neuen Start, einen neuen Prozess zu eröffnen. Und sei es auch einfach nur, die Stopptaste zu drücken. Es gibt fast nichts in der Politik, was es nicht gibt.

Richtig ist, dass beim Brexit die Optionen langsam weniger werden. Erschöpft sind sie auch nach zwei Jahren Verhandlungsdauer und dem dritten Nein einer Mehrheit der britischen Abgeordneten zum ausgehandelten Brexit-Deal nicht, um einen ungeordneten Austritt Großbritanniens abzuwenden. Dass die Zeit knapp wird, ist dabei das schwächste Argument. Zeit ist bekanntlich in der Politik relativ. Entscheidend ist, ob es den gemeinsamen Willen zu einer Lösung gibt. Ein aolcher ist im britischen Parlament weiter nicht in Sicht.

Das ist eine erschütternde Erkenntnis für jede parlamentarische Demokratie. Aber für solche Fälle, wenn die Magier der Politik wie gerupfte Hähne dastehen, steht der Souverän, das Volk, bereit. Um die Karten neu zu verteilen und neuen Politikern eine neue Chance zu geben.