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Gesamtschule: Das Ende der Wahlmöglichkeit

Von Günter Schmid

Gastkommentare

Wenn sich neben den Betroffenen (den Schülern und Eltern) und den Experten (den Lehrern) auch die Politik für eine Verbesserung des Bildungswesens zu interessieren beginnt, ist das Grund zur Freude.


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Dass man sich dazu bekennt, alles zu unternehmen, um (aus welchen Gründen auch immer) "nachhinkende" Lernende an den Bevölkerungsdurchschnitt heranzuführen, ist lobenswert, aber eigentlich selbstverständlich (unter welchem Titel dies erfolgt, ist dabei völlig unerheblich). Dass man aber diese lobenswerte Selbstverständlichkeit mit der Forderung junktimiert, "schnellere Läufer" (um im Bild zu bleiben) künstlich einzubremsen, ist schlichtweg menschenverachtend.

Wenn dann auch noch von der zuständigen Ministerin der Anschein erweckt wird, die "Segnungen" der Neuen Mittelschule (NMS) wären etwas völlig Neues, so ist das in seiner Unbedarftheit rührend, aber auch nicht überraschend, bedenkt man, dass die Dame nie selbst in einer Klasse gestanden ist und sich mit "Bildungsexperten" umgibt, die obige "Qualifikation" mit ihr teilen. Woher soll sie wissen, dass es zahlreiche Gymnasien gibt, in denen die viel gepriesenen "Innovationen" der NMS längst schulischen Alltag darstellen - allerdings unter sehr viel schwierigeren Bedingungen, da nicht mit großzügigen Sonderzuwendungen gesponsert?

Menschlich beklemmend ist die Intoleranz, mit der ein Alleinvertretungsanspruch auf ein Modell erhoben wird und dem Konsumenten unter Berufung auf das Gleichheitsideal jegliche Wahlmöglichkeit genommen werden soll. Da Wissen bekanntlich Macht ist, müssten, einem egalitären Verständnis dieser Art zufolge, auch alle Staatsbürger genötigt werden, ihr Wissen aus derselben Quelle zu schöpfen und ihre Informationen nur noch aus der Lektüre von "Heute" oder "Österreich" zu beziehen; oder vom links-grünen ORF. Sehnen wir uns wirklich nach nordkoreanischen Verhältnissen?

Viel schlimmer noch als die Intoleranz aber ist die unsoziale Haltung, die aus der Forderung nach Abschaffung der Wahlmöglichkeit im öffentlichen Schulwesen spricht. Dass eine (wenn auch wenig erfolgreiche) ehemalige Bankerin ein Naheverhältnis zu Geld hat, mag wenig überraschen; durch großzügige Aufwendungen für (vermeintliche oder echte) Behübschungen des persönlichen Bereichs und sündteure politische Propaganda hat sie das ja wiederholt eindrucksvoll bewiesen. Aber dass sie als Sozialdemokratin glatt in Kauf nimmt, dass Geld zum alleinigen Selektionskriterium wird, indem nur noch wohlhabenden Eltern die Wahl vorbehalten wird, ihre Kinder entweder in NMS oder Privatschulen zu schicken, ist schwer zu verdauen. Die populistische Forderung nach dem Recht aller auf gleiche (statt auf optimale, also persönlichkeitsadäquate) Bildung öffnet damit den Weg zu einer plutokratischen Klassengesellschaft, wie es sie zuletzt unter den Habsburgern gab.

Günter Schmid war Direktor des Wiedner Gymnasiums und der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien.