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2007 wurde der Thriller "No country for old men" von Ethan und Joel Cohen mit vier Oscars ausgezeichnet. Er ging auf einen gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy zurück. Gewiss werden viele Leser und Kinogänger der englischsprachigen Welt gewusst haben, dass dieser Titel ein Zitat aus einem berühmten Gedicht der "klassischen Moderne" ist: "Sailing to Byzantium", 1927 von William Butler Yeats geschrieben, beginnt mit dem markanten Satz: "That is no country for old men." Und damit sind die Gemeinsamkeiten zwischen dem heutigen Thriller und dem gestrigen Gedicht schon erschöpft.
Der irische Dichter Yeats, geboren 1865, war zur Entstehungszeit des Gedichts 62 Jahre alt. Mit den Maßstäben unserer Forever-Young-Kultur gemessen, ist das nicht alt. Und doch spricht in "Sailing to Byzantium" ein zur Vergreisung Entschlossener, der sich in der Welt der Jungen und Kräftigen weder heimisch fühlt, noch fühlen will.
Aufbruch ins Reine
Die erste der vier Gedichtstrophen beschreibt jenes Land, das nichts für alte Männer ist: Dort liegen die Jungen einander in den Armen, in den Gewässern tummeln sich die Fische, auf dem Land die Säuger und in der Luft die Vögel. Sie alle sind betört von der sinnlichen Musik ("sensual music") der Paarung und der Zeugung - aber auch des Todes, wie das Gedicht nicht zu erwähnen vergisst. Weil die Bewohner dieses Landes dem Kreatürlichen verhaftet sind, haben sie kein Verständnis für jene Denkmäler des alterslosen Geistes ("monuments of unageing intellect"), die der alte Mann nun aufsucht.
In der zweiten Strophe stellt Yeats diesen "aged man" in drastischer Anschaulichkeit als "schäbiges Ding" ("paltry thing") vor. Ist aber der Leib unansehnlich, muss die Seele lernen, in die Hände zu klatschen und zu singen. (Yeats spricht ausdrücklich von den Händen der Seele, wie auch immer man sich die vorzustellen hätte.) Als "singing school" für diese körperfernen Alterslieder bieten sich die Werke der Kunst an. "Darum", so Yeats in Norbert Hummelts Übersetzung, "hab ich mich eingeschifft und bin/ Gekommen in die heilige Stadt Byzanz." (Von diesem "ich" war vorher nicht die Rede, erst beim Aufbruch kommt es zur Sprache.)
Die dritte Strophe richtet ein Gebet an jene Weisen, die auf byzantinischen Mosaiken in "Gottes heiligem Feuer" stehen, und die der Dichter zu den Gesangslehrern seiner Seele ("singing masters of my soul") ernennt.
Die Literaturhistoriker haben herausgefunden, dass die Byzanz-Begeisterung des Dichters während eines Besuchs in Ravenna entstand, wo schöne byzantinische Kirchen auch heute noch besichtigt werden können. Dennoch hat Yeats kein Reisegedicht geschrieben, sondern mit Mitteln der Lyrik einen Aufbruch ins reine Reich der Kunst inszeniert.
Dies wird in der Schlussstrophe ausdrücklich verkündet: "So der Natur entwischt, vermeid ich ganz / Die Leibgestalt nach Vorbild der Natur, / Ich nehm sie griechisch, so wie sie der Schmied / Aus Gold gehämmert und mit Gold- email . . ."
Da selbst diese gelungene Übertragung von Norbert Hummelt der rhetorischen Eleganz des Originals nicht ganz gerecht wird, sei es hier ebenfalls zitiert: "Once out of nature I shall never take / My bodily form from any natural thing, / But such a form as Grecian goldsmiths make / Of hammered gold and gold enamelling . . ."
Grandiose Posen
William Butler Yeats ist als Erneuerer der irischen Poesie in die Geschichte eingegangen, desgleichen ist bekannt, dass er sich intensiv mit Theosophie und anderen Geheimlehren befasst hat (auch "Sailing to Byzantium" enthält eine Fülle esoterischer Anspielungen). Schließlich soll nicht verschwiegen werden, dass Yeats - wie viele Dichter seiner Zeit - von Demokratie und Massenkultur wenig gehalten hat. Wichtiger als all das ist hier jedoch, dass er imstande war, dem Altwerden ästhetische Reize abzugewinnen. Und "Sailing to Byzantium" ist ein besonders geglücktes Altersgedicht, weil hier ein Greis seine Leibesschwäche überwindet, indem er sich als Artefakt aus "Gold- email" selbst neu erschafft.
Wer das für eine grandiose Pose hält, hat das Gedicht richtig verstanden. Bis zu seinem Tod im Jahr 1939 probierte Yeats unterschiedliche literarische Posen aus. Der byzantinische Auftritt ist nur eine von vielen. In anderen Versen beklagt der Dichter zum Beispiel in theatralischem Zorn, dass er schon alt ist und andere Menschen noch nicht. Und in drei kleinen, beiläufig hingeworfen Strophen, die den schlichten Titel "A Song" tragen, behauptet Yeats ironisch, sein Körper altere langsamer als sein Herz: "Mir schien, man altert nicht so bald / Hält man sich recht in Schwung / Mit Hanteln und Florett, / So bleibt der Körper jung. / Doch dass das Herz auch alt wird, ach, / Wer hätte das gedacht?"(Übersetzung von Christa Schuenke).
Eher belustigt als erschüttert registriert Yeats dann, dass seine (in jungen Jahren wohl beträchtliche) Wirkung auf Frauen nachlässt - nicht, weil ihm die Worte zum Flirt fehlen, sondern aus Mangel an Empfindungen: Er verliebt sich nicht mehr so wie einst, weshalb er umgekehrt nicht mehr geliebt wird. Da bleibt nur die Selbstironie, die Yeats in die verblüffte Frage legt: "Wer hätte das gedacht?"
"Ohne Rührung"
Der deutsche Arzt und Dichter Gottfried Benn (1886-1956) ist ebenfalls ein Autor mit einem eindrucksvollem Alterswerk. In seiner Jugend provozierte er sein Publikum mit Versen von brutaler und schockierender Direktheit (ein Beispiel findet sich auf S. 8 in diesem "extra"), in seinen mittleren Jahren kompromittierte er sich (bei manchen kritischen Zeitgenossen bis zum heutigen Tag) mit seiner Parteinahme für Hitler, und in seinen späten Jahren zeigte er sich als Meister der kalten Ruhe: Keine Entwicklung, kein Sich-Erneuern, kein Fortschritt - so hießen die Parolen, die der alt gewordene Dichter proklamierte.
Benn widersprach damit bewusst dem "Urgroßvater" aller deutschen Dichter (wie er ihn nannte): Johann Wolfgang von Goethe, der das Prinzip der stetigen Verwandlung bis ins hohe Alter hinein sowohl gelebt als auch bedichtet hatte. Goethes berühmtes Gedicht "Selige Sehnsucht" endet mit einer Strophe, die auch heute noch zur Seniorenmobilisierung geeignet ist: "Und so lang du das nicht hast, / Dieses: Stirb und Werde! / Bist du nur ein trüber Gast / Auf der dunklen Erde."
1949 erschien Benns Buch "Statische Gedichte", das den späten Ruhm des Dichters begründete. "Statisch" sind diese späten Gedichte tatsächlich. Eines von ihnen verkündet unter dem programmatischen Titel "Wer allein ist -" die formvollendete Absage an das Goethesche Lebensprinzip der immerwährenden Entwicklung: "Ohne Rührung sieht er, wie die Erde / Eine andere ward, als ihm begann, / nicht mehr Stirb und nicht mehr Werde: / formstill sieht ihn die Vollendung an."
"Formstille" geht hier also vor Bewegung, Stabilität vor Entwicklung, Kühle vor Rührung. Es ist nicht zu übersehen, dass Benn sich diesen Imperativen auch deshalb unterwarf, weil er nichts Unfertiges hinterlassen wollte: ". . . nur keine Restbestände, Fragmente, Notizen, / diese verräterischen Einblicke ", das erklärte er schon 1944 in seinem Gedicht "Chopin".
Stattdessen arbeitete er an einem in sich geschlossenen, abgerundeten Werk. Das freilich wird niemandem geschenkt, sondern ist das Ergebnis formbewusster Arbeit, die nicht mehr aufgeschoben werden kann, wenn die vergehende Lebenszeit drängt. Auch das wusste Gottfried Benn genau. In seinem Vortrag "Altern als Problem für Künstler", den er 1954 an mehreren Orten hielt, gab er die Parole aus: "Wenn etwas fertig ist, muss es vollendet sein." Den Sinn dieser Forderung erklärte er dann näher, wobei er die schöne archaische Vokabel "Rüste" einsetzte, wo konsequent zeitgenössische Menschen wahrscheinlich "Neige" geschrieben hätten: " . . . denn Sie sind nur nach Maßgabe Ihrer Sätze vertreten, wenn die Epoche zur Rüste geht und dem Gesang ein Ende macht. Was Sie nicht aussprechen, ist nicht da."
Zwei Jahre nach diesen Sätzen, mit denen sich der alternde Künstler zur Arbeit animierte, starb Dr. med. Gottfried Benn siebzigjährig an Darmkrebs. Seine Lyrik jedoch hat ihren Verfasser überlebt - ganz, wie er sich das gewünscht hatte.
"Das Fleisch fühlen"
Doch wäre Benn nicht der große Lyriker gewesen, der er war, wenn er sich mit programmatischen Verlautbarungen begnügt hätte. Das hat er aber so wenig getan wie der andere große Lyriker Yeats. Auch in Benns Spätwerk wird mit Formen und Posen gespielt, und dabei wird das Thema "Alter" in vielen Facetten bedacht. So heißt es in dem kleinen Zyklus "Spät" einmal durchaus mit Rührung: "Noch einmal so sein wie früher: / unverantwortlich und nicht das Ende wissen / das Fleisch fühlen: Durst, Zärtlichkeit, Erobern, Verlieren, / hinüberlangen in jenes Andere - in was?"
Hier klingt der Verlust der Sinnlichkeit an, der zu den Erfahrungen vieler alter Menschen gehört. Nur in der Erinnerung kann der Schreiber dieser Verse noch "das Fleisch fühlen", in der Gegenwart ist es ihm nicht mehr möglich. Wie seine Biographen ausplaudern, war Benn zwar bis zu seinem Tod ein ausgesprochener Damenmann (so wurde der Womanizer in früheren Zeiten genannt). Aber in seinen Gedichten kühlt das Erotische ab, erscheint nur noch in erinnernden Rück- oder leicht voyeuristischen Seitenblicken.
Das freilich ist ein allgemeiner Zug des Alterns: " . . . wenn das Körperliche nicht mehr so drängt, kommen andere Resultate", heißt es bei Dr. Benn einmal. Man braucht weder Arzt noch Lyriker zu sein, um zu ahnen, dass in dieser Diagnose nicht nur eine Wahrheit verborgen liegt, sondern auch ein Versprechen: Im Alter lässt sich noch manches erleben, was einem in früheren Jahren verschlossen war - dies vor allem dann, wenn man aufhört, den Ansprüchen der Jugend nachzueifern.
Hermann Schlösser, geboren 1953, ist Germanist, Anglist und Redakteur des "extra".
Literatur:William Butler Yeats: Selected Poems, Penguin Books, London 2000.William Butler Yeats: Die Gedichte, neu übersetzt von Marcel Beyer, Mirko Bonné, Gerhard Falkner, Norbert Hummelt und Christa Schuenke. Luchterhand Verlag, München 2005.Gottfried Benn: Sämtliche Werke, Band I: Gedichte 1, und Band VI., Prosa 4, Klett-Cotta Verlag Stuttgart 1986-2001.