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Geschäft mit Sammelklagen stockt

Von WZ-Korrespondent

Wirtschaft

Die amerikanische Klageindustrie kommt ins Stottern. | Schadensummen werden weniger. | New York. Richter John Walter zeigte wenig Gnade. 275 Briefe waren bei ihm eingegangen, allesamt Gesuche, für Melvyn Weiss eine mildere Strafe auszusprechen. Walter blieb hart. Dreißig statt die beantragten 33 Monate schickte er den Staranwalt im Frühsommer ins Zuchthaus. Dort wird Weiss in einem dreietagigen Stockbett schlafen. Sieben Duschen und sechs Toiletten teilt er mit 77 Männern - eine harte Strafe für einen 73-Jährigen.


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Dessen Kanzlei Milberg Weiss gilt als ertragreichster Anwaltskonzern der USA. Ihr besonderes Geschäft: Sammelklagen, bei denen eine Vielzahl von Klägern gegen einen oder mehrere Beklagte vorgehen. Weit mehr als die Hälfte der großen Sammelklagen liefen in den letzten zwanzig Jahren über die Pulte der Kanzlei. Was lange niemand wusste: Weiss betrog das US-Rechtssystem jahrelang. Statt auf echte Betroffene zu warten, zahlte seine Kanzlei insgesamt elf Millionen Dollar an Personen, die sich für eine Klage einspannen ließen. Die illegale Praxis trieb den Umsatz der Vorzeigefirma in die Höhe, von 145 Millionen Dollar im Jahr 1997 auf 20 Milliarden im Jahr 2005. Dann flog der Plot auf.

Imageschaden

Nun geht die Kanzlei unter. Der ehemalige Partner und Komplize von Weiss, William Lerach, kassierte zwei Jahre Gefängnis. "Was Weiss und Lerach getan haben, ist schändlich", sagt Daniel Becnel, ein anerkannter Sammelklageanwalt aus New Orleans. "Ausgerechnet die größten Stars der Branche ruinieren unser Ansehen." Es sei nur die "Spitze des Eisbergs", sagt Tiger Joyce, Präsident der Lobbyorganisation American Tort Reform Association. "Jetzt muss der Kongress die Anwälte untersuchen und dem Missbrauch einen Riegel vorschieben."

Gesetzliche Barrieren kämen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die für ihre Gier berühmte und ihre Skrupellosigkeit berüchtigte US-Klageindustrie ist ins Stottern geraten. Umsätze sinken. Von den jährlich rund 15 Millionen eingereichten Klagen akzeptieren Gerichte mittlerweile weniger als fünf Prozent. Große und kapitalintensive Schadensfälle wie Tabak oder Asbest sind weitgehend ausgereizt. Der Versuch, Schnellimbissketten wegen dick machenden Hamburgern und Fritten anzugreifen, scheiterte.

Schwierig geworden sind Sammelklagen insbesondere gegen Hersteller von Medikamenten. Anwälte der Pharmabranche überzeugen Richter vermehrt, dass Pillen bei allen anders wirken. Deshalb müssen Klägeranwälte, die gegen Fabrikanten vermeintlich schadhafter Arzneien vorgehen, pro Patient einen Prozess führen.

Beim Schmerz- und Rheumamittel Vioxx kam genau deshalb keine Sammelklage zustande. Erwarteten Analysten für den Vioxx-Hersteller Merck einen Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe, dürfte er nun fünf Milliarden nicht übersteigen.

Billiger wie ertragreicher wäre es freilich, tausende von Betroffenen in einer Sammelklasse zu vereinen.

Abweisende Richter

"Es war noch nie so schwierig wie jetzt, eine Sammelklage einzureichen", sagt der Rechtsanwalt Becnel, der bei Vioxx-Klagen eine führende Rolle spielt. Er weist die Schuld dem republikanischen Präsidenten George W. Bush zu. Vehement würde dieser gegen Klägeranwälte vorgehen. "Bush hat hunderte von Bundesrichtern eingesetzt, die Sammelklagen gegenüber feindlich gesinnt sind", sagt Becnel.

Auch der Umsatz bei Aktionärsklagen ist eingebrochen. Um sechzig Prozent sank 2007 die ausbezahlte Summe gegenüber 2006, belegt eine Studie des Think Tanks Cornerstone.

Keine rosige Zukunft

Die Zukunft sieht nicht rosiger aus. Professor Joseph Grundfest von der Stanford Law School erwartet einen "signifikanten Rückgang" bei der Schadensumme bei Aktionärsklagen. Der Kollaps der Kanzlei von Melvyn Weiss verminderte die Zahl der Aktionärsklagen, sagt er. Wirkung zeigt überdies die verschärfte Gesetzgebung nach den Buchhaltungsskandalen zu Beginn des Jahrzehnts. Der Sarbanes-Oxley Act, der von Firmen mehr Transparenz verlangt, hätte den "Betrug tatsächlich reduziert", sagt Grundfest.