Die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Dubliner Osteraufstands sind überschattet von politischer Unsicherheit.
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Dublin. Es war die erste große Rebellion gegen das Vereinte Königreich im 20. Jahrhundert - der Osteraufstand von Dublin 1916, der den Beginn der irischen Unabhängigkeit markiert. Am Montag jährt er sich zum hundertsten Mal. Paraden, Zeremonien, Konzerte und rund eine halbe Million Besucher erwartet Dublin an diesem Wochenende. Überall weht die irische Flagge, das Konterfei der Rebellenführer prägt Briefmarken, T-Shirts, Schlüsselanhänger. Rund 500 neue Bücher wurden im Vorfeld zum Thema herausgegeben, dutzende Ausstellungen öffneten ihre Türen - ein ausuferndes kulturelles und historisches Programm.
Doch die Feierlichkeiten sind überschattet, bisher war es kein gutes Jahr für die Insel. Nicht nur, dass die Republik nach der turbulenten Wahl Ende Februar immer noch ohne Regierung dasteht und niemand weiß, wie sich ein Brexit auf die Wirtschaft Irlands auswirken würde. Es herrscht auch akute Wohnungsnot. Die vielgelobte "Erholung" nach der Beinahe-Staatspleite von 2009 hat bei weitem nicht alle erreicht. Zudem könnten republikanische Terrorgruppen in Nordirland die Jahrhundertfeier mit Anschlägen ins Chaos stürzen. Die Dissidenten, heute innerhalb zahlreicher IRA-Splittergruppen organisiert, sehen die Rebellion von 1916 als "unfinished business", als noch nicht abgeschlossen. Sie verlangen ein vereintes Irland - die Wiederangliederung Nordirlands an die Republik.
"Respektvoll, integrativ, angemessen" - so wären Irlands Kulturministerin Heather Humphreys die Feierlichkeiten am liebsten. Doch haben verschiedene IRA-Splittergruppen bereits Anschläge für die heurige Osterwoche angekündigt. Anfang März fand die Polizei nahe der nordirischen Hauptstadt Belfast ein "signifikantes" Bombenarsenal, keine Woche später töteten militante Nationalisten einen nordirischen Gefängniswärter durch eine Autobombe. Schwer zu sagen, ob es sich hier um Vorboten eines großen Gewaltausbruchs handelt - oder doch "nur" um herkömmliche nordirische Terroraktionen.
Im dritten Jahr des Ersten Weltkrieges, zu Ostern 1916, deutet jedenfalls nichts auf Unruhen hin. Die meisten Offiziere der in Irland stationierten britischen Truppen sind entweder auf Heimurlaub oder beim Pferderennen in Fairyhouse. Und so staunen die auf der Hauptstraße Sackville Street flanierenden Dubliner, als plötzlich grünuniformierte Kolonnen vorbeischreiten, haltmachen und den klassischen Bau des Hauptpostamtes besetzen.
Das Glas klirrt, als die Männer der Irish Volunteers und Irish Citizen Army die Fenster verbarrikadieren. Kurz darauf treten deren Führer vor das Portal und verlesen die Proklamation der irischen Republik - das Gründungsdekret des modernen, unabhängigen Irland. An die 1100 Rebellen besetzen an jenem Ostermontag auch andere wichtige Gebäude nördlich und südlich des Flusses Liffey. Es ist ein defensives Konzept, ein Verzweiflungsakt, denn die britische Kriegsmarine hat in der Karwoche wichtige Waffenlieferungen aus Deutschland abgefangen. Von dem ursprünglich geplanten landesweiten Aufstand kann keine Rede sein; die Rebellion scheitert.
Der Zeit hinterher
Fünf Tage dauern die Kämpfe in Irlands Hauptstadt, die militärische Übermacht Großbritanniens und gnadenloses Artilleriefeuer auf die Innenstadt zwingen die Rebellen schließlich zum Aufgeben. Fast 500 Menschen sterben in dieser Osterwoche, die meisten davon Zivilisten. Nach dem ersten großen Fehler, Berichte der britischen Abwehr über eine bevorstehende Rebellion zu ignorieren, macht die britische Regierung von Herbert Asquith dann einen noch größeren: Sie überlässt Irland den Militärs, die 16 Rebellenführer nach Feldgerichtsverfahren erschießen und tausende vermeintliche "rebels" einkerkern.
Die Nachricht von der Hinrichtung James Connollys am 8. Mai 1916 - der schwerverwundete Kommandant der Aufständischen stirbt an einen Sessel gefesselt - und die Tatsache, dass die Rebellen tapfer ausgehalten haben, verursachen in Irland einen Umschwung in der öffentlichen Meinung zugunsten der Besiegten. Führende Politiker Irlands und Englands haben wesentliche Veränderungen in der Gesellschaft unterschätzt. Zwar wird der Insel kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 die langersehnte Unabhängigkeit per Gesetz (Home Rule Bill) zugebilligt, dann jedoch für die Kriegsdauer auf Eis gelegt.
Führende Kreise übersehen, dass sich erhebliche Teile der national gesinnten Iren in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts radikalen Vereinen angeschlossen haben, seien es militante sozialistische Gewerkschaften, militärische Geheimbünde oder die Bewegung zur Wiederbelebung der irischen Sprache. Sogar die unpolitische, indifferente Masse erinnert sich nur schmerzlich an die Hungerkatastrophe 70 Jahre zuvor, in der über eine Million Landesleute, Untertanen des damals reichsten Königreichs der Erde, starben und noch mehr nach Nordamerika auswanderten - von wo aus sie künftig die radikalsten nationalen Bewegungen in der Heimat unterstützen.
Der endgültige Bruch
Zwei Jahre nach der Ostererhebung macht die britische Regierung den dritten und entschiedenen Fehler: Als deutsche Truppen durch die britischen Linien in Frankreich stoßen und Paris gefährden, beschließt London im April 1918, in Irland die allgemeine Wehrpflicht einzuführen - dabei kämpften bereits über 100.000 Iren freiwillig für die britische Armee. Der Krieg ist längst unpopulär, angesichts der militärischen Desaster melden sich immer weniger Iren zum freiwilligen Kriegsdienst - und nun sollen sie dazu gezwungen werden. Die Reaktion: ein nationaler Schulterschluss und ein Generalstreik; die irischen Abgeordneten ziehen aus dem britischen Unterhaus aus. Die Wahlen vom Dezember 1918 bringen dann die endgültige Trennung von Britannia: Die große Mehrheit wählt die separatistische Sinn Fein, die im Jänner 1919 ein eigenes Parlament in Dublin gründet.
1921 vereinbaren Briten und Iren einen Deal, Irland wird zum Freistaat, Nordirland aber bleibt Teil Großbritanniens. 1922 bricht in Belfast ein Guerillakrieg gegen die Briten aus, gefolgt von einem Bürgerkrieg, doch nun ist Irland unabhängig und, abgesehen von den sechs nordirischen Grafschaften, streift Dublin 1949 das letzte Überbleibsel der Verbundenheit mit der Krone ab, ruft die Republik aus und verlässt den Commonwealth.
Dieser wechselvollen Geschichte gedenken die Iren also dieses Wochenende. Den Höhepunkt markiert die Parade in Dublin, vorbei am Postamt, mit tausenden Soldaten und rund 4000 Nachfahren der Rebellen von damals. Geplant ist, dass Premier Enda Kenny die Zeremonie vor dem symbolträchtigen Postamt leitet. Seine Partei Fine Gael erwuchs aus Michael Collins damaliger IRA, die 1921 das Abkommen mit den Briten unterzeichnet hat. Es ist eines der vielen komplexen Details der irischen Geschichte, dass die Fine Gael von Generationen gewaltbereiter Nationalisten für den Verrat am Erbe von 1916 verantwortlich gemacht wird. Doch sie ist nicht die Einzige: Jedes Mal, wenn irische Unabhängigkeitskämpfer sich auf einen Deal mit den Briten einließen, ob 1919, 1921 oder 1998, spaltete sich ein Teil ab, um den Verbliebenen gerade das vorzuwerfen: Verrat am Ideal eines vereinten Irland. Für die IRA-Splittergruppen gibt es also wenig Anlass, den Status quo zu feiern. Die Sicherheitsbehörden Irlands und Nordirlands sind jedenfalls alarmiert.