Die Idee der virtuellen Welt, in die man sich flüchten kann, kommt aus einem Scifi-Roman.
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Am Anfang stand ein Buch. Und wie so oft, wenn es sich um eine digitale Innovation und das weltweite Datennetz handelt, kommt der Begriff bei einem US-Autor vor, genauer gesagt in Neal Stephensons 1992 erschienenem Buch "Snow Crash".
Die Handlung spielt in Los Angeles in einer nicht allzu fernen Zukunft. Der Staat hat sich fast vollständig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und alle gesellschaftlichen Ordnungsfunktionen Privatunternehmen überlassen. Die Mafia ist nur eine der Franchise-Ketten wie alle anderen Institutionen auch: Polizei und Justiz, Regierungen und Staaten sind sämtlich privatisiert. Es herrschen Hyperinflation und extreme soziale Ungleichheit. Aus dieser anarchokapitalistischen Dystopie fliehen die Hauptcharaktere Hiro und seine Partnerin, die 15-jährige Y.T., immer wieder in das Metaversum, eine Mischung aus Internet und riesiger virtueller Spielewelt, durch die sie sich mit Avataren bewegen.
Bis die erste Anwendung auf Basis der Grundidee des Metaverse dann auf den Markt kam, sollte es allerdings noch dauern. Am 24. Juni 2003 - also ziemlich genau vor 20 Jahren - öffneten sich die Pforten des "Second Life", das seit 1999 von Linden Lab in San Francisco entwickelt worden war. Die Goldgräberstimmung in der IT-Branche, der Wunsch nach einer virtuellen Freiheit, das Neue und auch die Profitgier führten dazu, dass Grundstücke und Häuser in der virtuellen Welt zu Rekordpreisen verkauft wurden. Firmen bauten ihre Unternehmenssitze nach, Länder eröffneten virtuelle Botschaften und vieles andere mehr. So wurde 2007 der virtuelle Apfelland Dubai Tower "samt prestigeträchtigem Grundstück direkt an einem der meistbesuchten Orte von Second Life weltweit. 13 große Suiten, 3 Penthäuser, ein Observer Deck mit Helipad und eine ausladenden Lounge" - so der damalige Pressetext - für 50.000 Euro verkauft. Schon 2009 folgte dann die große Talfahrt des "Second Life".
Ein Milliardengrab durch Gier
Ein erfolgreicher Vorreiter des Metaverse, so wie wir es uns heute teilweise vorstellen, ist sogar noch älter: Im Herbst 1997 startete ein Online-Rollenspiel namens "Ultima Online". Es handelt sich dabei um ein mittelalterliches Fantasy-Königreich, in dem die Spieler Abenteuer mit anderen Spielern und computergesteuerten Charakteren erleben können. Diese virtuelle Welt begeistert noch immer Spieler weltweit. Auf "Second Life" folgten, allen negativen Erfahrungen zum Trotz, 2015 "Decentraland" und 2017 "The Sandbox".
"Decentraland" ist eine dezentralisierte 3D-Plattform für virtuelle Realität, die aus 90.601 Parzellen virtuellen Landes besteht. Kunden kaufen Grundstücke mit einer virtuellen Währung, die gegen reales Geld gekauft werden muss. Im "Decentraland" zahlte das in New York ansässige digitale Immobilien-Investmentunternehmen Republic Realm am 18. Juni 2021 umgerechnet 913.228 US-Dollar für 259 Parzellen, die es in ein virtuelles Einkaufsviertel namens Metajuku verwandeln will, das dem Tokioter Einkaufsviertel Harajuku nachempfunden sein soll.
Befeuert wurde der Hype um die virtuellen Welten von jenen um Kryptowährungen wie Bitcoin und digitale Kunstwerke, sogenannte Non-Fungible Tokens (NFTs). Dann kam der Bitcoin-Crash, und jetzt warten alle Investoren einmal ab, ob ihnen noch verrücktere Risikoinvestoren ihre Grundstücke wieder abkaufen. Es zeigt sich generell, dass der Warenkreislauf virtueller Güter stets auf der Tatsache beruht, dass eine Person bereit ist, mehr zu zahlen als der Besitzer davor. Und interessanterweise sind es meist Investoren in die Blockchain oder in Bitcoins, die einander gegenseitig überbieten und somit eine wachsende Nachfrage auf ihre eigenen Produkte generieren.
Die Pyramide und die VR-Brille
Nur wenn dieser Abzock-Pyramidenspiel-Komplex aus den virtuellen Welten entfernt wird, haben diese digitalen Spielplätze eine echte Zukunft. Ebenso verschwinden muss das Glücksspiel mit virtuellen Gütern, die sogenannten Lootboxen. Sony soll einem Kunden die Kosten für "Fifa"-Packs, virtuelle Spielfiguren für Computerspiele, zurückerstatten. Nach Ansicht des Bezirksgerichts Hermagor, das den Konzern soeben - nicht rechtskräftigen - verurteilt hat, handelt es sich dabei um Glücksspiel. Es ist das erste Urteil in Deutschland und Österreich zum Geschäft mit Lootboxen. Dabei zahlen Spieler für zufällig ausgewählte Inhalte von Computerspielen in der Hoffnung, Vorteile beim Spiel zu erhalten.
Und zu guter Letzt muss auch noch das Thema Datenschutz endlich gelöst werden. Virtuelle Welten, die der ständigen Kontrolle und Überwachung ausgesetzt sind, werden auf lange Sicht nicht bestehen können. Natürlich müssen all jene Probleme, die es derzeit schon im virtuellen Zusammenleben der Menschen gibt - Stichworte Hass im Netz, Mobbing, Betrug, sexuelle Belästigung und Diskriminierungen -, auch noch gelöst werden. Denn in einer virtuellen Welt, in der in Echtzeit alles möglich scheint, sind Cyberkriminelle noch schwerer aufzuhalten und auszuforschen, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen fehlen.
Ein weiterer wichtiger Grundpfeiler für ein funktionierendes virtuelles Leben im Metaverse sind die sogenannten VR-Brillen. Gerade erst hat Sony seine neueste Generation vorgestellt, auch Apple will noch heuer ein Modell auf den Markt bringen. Das meiste Geld steckt allerdings Meta, der Mutterkonzern von Facebook, in dieses Geschäftsmodell. Viele Milliarden Dollar flossen in die Entwicklung virtueller Metaverse-Welten. Doch kaum war der Begriff Metaverse in aller Munde und der Acker bestellt, da konnte man die Ernte doch nicht einfahren, weil man vom nächsten Hype, der Künstlichen Intelligenz samt Tools wie ChatGPT, Dall-E, MindJounrey und wie sie alle heißen, auf der Zielgeraden überrundet wurde. Allein im vergangenen Jahr verbuchte die entsprechende Sparte bei Meta, Reality Labs, einen operativen Verlust von gut 13,7 Milliarden Dollar (aktuell 12,8 Milliarden Euro).
Es bleibt nun abzuwarten, wann mit der Verbindung aus KI, virtueller Währung, VR-Brille und sicherer digitaler Welt der nächste große Hype samt Goldgräberstimmung ausgelöst wird. Oder ob sich zunächst doch Anwendungen durchsetzen, die der Menschheit und dem Gemeinwohl dienlicher sind. Es scheint, als hätten Corona, Krieg und finanzielle Belastungen in der IT-Branche eine kleine Krise ausgelöst. Superreiche versuchen weiterhin, durch Investments in digitale Güter ihren Reichtum zu mehren, doch für die breite Masse ist kein Platz in den aktuellen virtuellen Welten.
Das Metaverse der Dauerwerbung, der Dauerüberwachung und des Dauerkonsums ist aktuell ohne Zielgruppen und Kunden. Die überwiegend männliche Kundschaft der Spieler reicht alleine nicht aus. Und auch der Bereich der Erwachsenenunterhaltung ertrinkt im eigenen Meer der kostenlosen Pornos. Es dürfte eine Grenze erreicht worden sein, an der es wirklicher Innovation bedarf, um die Konsumenten abzuholen. Die große Killer-Applikation zeichnet sich allerdings derzeit nicht ab. Aber bloß nicht verzagen, nicht den Kopf in den Sand stecken: Es wird wieder bergauf gehen. Irgendwann macht das Metaverse sicher auch Sinn.