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Tálos: "Privilegierung bestimmter Form der Interessensvertretung." | Sozialpolitik: "Nur Teilerfolge der SPÖ." | "Wiener Zeitung": Die große Koalition schreibt die Kammern - und mit diesen auch die Pflichtmitgliedschaft - in der Verfassung fest. Die Begründung lautet, dass man damit der sozialpartnerschaftlichen Realverfassung auch eine formelle Entsprechung schaffen will. Ein stichhaltiges Argument? | Emmerich Tálos: Das war ein sehr alter Wunsch einiger etablierter Kammern. Ich beurteile diese Entscheidung durchaus ambivalent, auch wenn das Parlament die Regelung noch abgeschwächt hat. Ursprünglich sollten ja Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer direkt festgeschrieben werden. Jetzt geschieht dies nur allgemein. Meiner Ansicht nach wäre das aber nicht notwendig gewesen. Einige privilegierte Kammern waren ja schon bisher tragende Akteure der Politik.
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Warum hat es die Regierung trotzdem gemacht?
Hier kann ich nur vermuten. Im Regierungsprogramm findet sich wiederholt die Absicht, die Interessensverbände verstärkt in Entscheidungsprozesse miteinzubinden. Insgesamt ist es wohl ein Geschenk zweier Parteien an jene Kammern, mit denen sie in vielen Bereichen eng verflochten sind. Das ist natürlich eine Privilegierung bestimmter Interessensvertretungen, vor allem durch die damit einhergehende Festschreibung der Pflichtmitgliedschaft.
Was bedeutet das für die Sozialpartnerschaft - ist auch diese nun in Stein gemeißelt?
Man darf nicht vergessen, dass die gesetzliche Verankerung der Sozialpartnerschaft schon einmal misslungen ist. Anfang der 50er Jahre hätte ein paritätisch besetzter Ausschuss den verantwortlichen Minister binden können sollen, das Land Vorarlberg hat diese Regelung jedoch beeinsprucht. Deshalb basiert die Sozialpartnerschaft bis heute auf freiwilliger Basis ohne gesetzliche Grundlage.
Mit der Verankerung der Kammern wird eine spezifische Form der Interessensvertretung festgeschrieben, nicht jedoch diese Sozialpartnerschaft. Kammern werden erst zu Sozialpartnern, wenn sie auch politisch eingebunden sind. Der jetzige Schritt kann deshalb nicht mit einer Verankerung der Sozialpartnerschaft gleichgesetzt werden.
Wie bewerten Sie diese Maßnahme demokratiepolitisch?
Es wirkt eigenartig, dass nun verankert wird, was seit fünf Jahrzehnten ohnehin faktisch privilegiert war. Ein konkretes demokratiepolitische Defizit sehe ich nicht, da die Festschreibung abstrakt gehalten ist. Der Gesetzgeber kann diese daher jederzeit neu interpretieren. Wäre dem nicht so, müsste man die Sache sicher kritischer sehen.
Was bedeutet die Privilegierung der Arbeiterkammer für den angeschlagenen ÖGB, der Mitglieder werben muss?
Es ist bezeichnend, dass es aus dem ÖGB im Unterschied zur Industriellen Vereinigung keine Proteste gab. Meiner Ansicht nach hat der ÖGB alles Glück dieser Welt, dass es die AK in dieser Form gibt. Der ÖGB kann sich in seiner schwierigen Lage nur glücklich schätzen, dass es hier Parallelstrukturen gibt.
Die große Koalition ist bald ein Jahr im Amt: Wie fällt die sozialpolitische Bilanz aus?
Wir haben eine Koalitionsregierung, wo das Verhältnis der Parteien zueinander sehr konfliktreich ist. Der Streit ist quasi permanent. Für mich hat das weniger mit den handelnden Personen als vielmehr mit dem Regierungsprogramm zu tun. Hier hat die SPÖ ihre Vorstellungen weitgehend zurückgestellt, um diese Koalition doch noch zustande zu bringen. Die SPÖ muss nun sogar weite Teile der ÖVP-Politik der vergangenen Jahre mittragen, das zeigt sich etwa im Bereich der Pensionspolitik, obwohl es hier zu einigen Abschwächungen gekommen ist. Nach einem Jahr muss man sich die Frage stellen, wer denn die Wahlen gewonnen hat.
Mindestsicherung, Pflegekompromiss, Verlängerung der Hacklerregelung lassen Sie als Erfolge nicht gelten?
Die Mindestsicherung ist ein wichtiger Punkt, eines der wenigen Zugeständnisse der ÖVP an die SPÖ. Aber der Schritt reicht nicht aus, der Ausgleichszulagenrichtsatz ist immer noch weit weg von der Armutsschwelle. Für die SPÖ geht es bei der nächsten Wahl darum, ob die Detailerfolge das Image der Ankündigungs- und Umfallerpartei überdecken kann.