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Geschichtsumschreibung in Bronze

Von Martyna Czarnowska

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Mit gestählter Brust steht er da. Den stolzen Blick geradeaus gerichtet, hin zur glorreichen Zukunft, die blutigen Kämpfe siegreich hinter sich lassend. Manchmal hält er eine wehende Fahne in der Hand, manchmal drückt er ein lachendes Kind an sich. Als Held, als Befreier präsentiert sich der sowjetische Soldat noch immer in zahlreichen polnischen, estnischen oder litauischen Städten.


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Doch die Sicht auf die Vergangenheit ist in Russland eine andere als in Polen, Estland oder Litauen. Während in Moskau am heutigen 9. Mai mit Paraden, feierlichen Reden und großem Pomp der Tag der Befreiung vom Hitler-Faschismus begangen wird, markiert das Ende des Zweiten Weltkrieges für die osteuropäischen Länder den Übergang zu einem anderen System der Unterdrückung. Erst Jahrzehnte später konnten sie sich aus dem Einflussbereich der Sowjetunion reißen.

Besonders in den baltischen Staaten empfinden viele Menschen 1944 und 1945 nicht als Jahre der Befreiung sondern des schlichten Wechsels - von den deutschen zu den sowjetischen Besatzern. Und einige haben auch an der Seite der ersteren gegen die letzteren gekämpft. Das Kapitel der Kollaboration mit den Deutschen gehört denn auch zu den umstrittenen in der lettischen, litauischen und estnischen Geschichte.

Wie spannungsgeladen die Beziehungen zwischen den baltischen Staaten und Russland bis heute sind, zeigten die Ausschreitungen bei der Verlegung des Sowjetdenkmals in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Sie demonstrierten auch, welch weitreichenden Auswirkungen die Umsiedlungspolitik der Sowjetunion hatte, die von den 40er-Jahren an Millionen von Menschen zwang, ihr Leben woanders zu führen. Von den 1,4 Millionen Einwohnern Estlands ist etwa jeder dritte Russe.

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Um einen ähnlichen Konflikt mit Russland - das die Denkmal-Verlegung in Tallinn scharf kritisiert - zu vermeiden, hat Polen nun einen Gesetzesentwurf zurückgestellt, der den Lokalbehörden den Abbau sowjetischer Kriegsdenkmäler erlaubt. Offiziell wird die Verzögerung allerdings eher damit begründet, dass die Regelung noch nicht ausgearbeitet ist.

Dennoch verteidigte Premier Jaroslaw Kaczynski die Entfernung der Statuen schon als "innere Angelegenheit", wies Kulturminister Kazimierz Ujazdowski darauf hin, dass Polen ein souveräner Staat sei. Nicht ohne Grund. Die Verärgerung in Moskau ist bereits hörbar.

Der Sprecher des russischen Außenministeriums zeigte sich tief enttäuscht über den polnischen Gesetzesentwurf. Der Minister selbst richtete Vorwürfe gegen EU und Nato. Diese würden gemeinsame Sache mit jenen Staaten machen, die das Andenken an die sowjetischen Soldaten missachten würden und die Geschichte umschreiben wollten, erklärte Sergej Lawrow.

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Nun will Russland die Denkmalpflege im Ausland in eigene Hände nehmen. Nach Berichten des Moskauer "Kommersant" sollen in Polen, Ungarn, Rumänien, Deutschland, Lettland, China und Südkorea spezielle Einrichtungen entstehen, die sich um russische Gräber und Gedenkorte kümmern. Sie wären bei den Botschaften angesiedelt und bekämen jährlich eine Million Dollar für ihre Tätigkeit.

In Warschau stößt das Projekt auf keine Gegenliebe. Polen könne sich selbst um die Soldatenfriedhöfe kümmern. Die seien durch den Gesetzesentwurf auch keineswegs bedroht.

Tatsächlich machen auch die meisten Menschen in Polen einen Unterschied zwischen den Friedhöfen und den sowjetischen Denkmälern. Nur letztere sehen sie als unerwünschte Symbole der kommunistischen Ideologie an.

An die Opfer hingegen erinnern die Friedhöfe. Dort liegen die Knochen jener Soldaten der Roten Armee, die ausgehungert und in Fetzen gekleidet unter Todesandrohung gegen Berlin getrieben wurden. Nur die wenigsten von ihnen hatten etwas gemein mit den strahlenden Helden wie sie später in Bronze gegossen wurden. Das allerdings sieht Russland nicht als Umschreibung der Geschichte an.