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Geschmack der Nostalgie

Von Yordanka Weiss

Politik
Wodka oder Kaffee? , fragt Armen Yaralyan, wenn man in sein Geschäft kommt.
© © Stanislav Jenis

Postsowjetisches Essen klingt exotisch und wird in Wien gerne genossen.


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Wien. "Wodka oder Kaffee?" Armen Yaralyan, Inhaber von "Ugolok", ein Geschäft für russische Lebensmittel, empfängt auch vormittags seine Kunden mit breitem Lächeln und ebendieser Frage. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und manch experimentierfreudiger Kunde kippt sogar manchmal dankend 50 Zentiliter Wodka.

"Ich selber trinke nicht", so Yaralyan, die Getränke seien für die Kundschaft. Geboren in Taschkent, Usbekistan, kam der junge Mann als Asylwerber nach Wien. Sein Geschäft, dessen Namen auf Deutsch "kleines Eckchen" bedeutet, eröffnete Yaralyan 2010 in der Taborstraße 62/Ecke Heinestraße mit dem Ziel, die russische Esskultur in Wien zu etablieren.

Schließlich ist laut der Statistik Austria keine andere Bevölkerungsgruppe in den letzten Jahren so schnell gewachsen wie die aus der ehemaligen UdSSR. Derzeit leben in Österreich 27.274 Staatsangehörige der Russischen Föderation (Stand 2011), der Großteil in Wien und Salzburg. Vor zehn Jahren waren es nur 3675. Die russische Migration nach Österreich hat Tradition: Nach der Oktoberrevolution des Jahres 1917 flohen etwa 2 Millionen. Menschen, darunter viele Adelige, Offiziere und Intellektuelle ins Ausland unter anderem nach Wien.

Es wird alles angeboten

Die wachsende Nachfrage nach Heimatgefühl decken Geschäfte in Wien ab, wo russische Bekleidung, Taschen, Parfüme und Kosmetik vertrieben werden. Bäckerei, Schuhreparatur, Fotostudio, Juwelier und Gemäldegalerie mit russischem Angebot - alles wird in Wien angeboten.

Zielgruppe dieser Geschäfte sind nicht nur die ehemaligen Sowjetbürger. "Juden, Chinesen, Italiener, Türken, Österreicher kaufen bei mir ein", so Armen Yaralyan. Viele wollen in das mythenumworbene Russland eintauchen und es auch kulinarisch kennenlernen. "Ich kenne Osteuropa kaum. Der Besuch eines solchen Geschäftes ist für mich ,exotisch‘: Überall erblickt man Lebensmittel, die auf Kyrillisch gekennzeichnet sind", erzählt der Student aus Tirol Peter Marek der sich im "Ugolok" umschaut. Er findet es spannend, dass man am Anfang nicht wisse, was man kaufe: "Ich hatte nicht die geringste Ahnung wie ein Keksriegel aus Russland schmecken wird." Jetzt kennt und mag er den Geschmack der Milchschokolade "Alionka".

Kaviar statt Kebap

Selbige nostalgische Auswahl treffen Auswanderer aus der ehemaligen UdSSR, die ihren Nachkommen den Geschmack ihrer Kindheit näherbringen möchten. "Vor der Perestrojka gab es kein Zugang zu westlichen Produkten. Man konnte nur heimische Produkte oder Erzeugnisse eines kommunistischen Bruderlandes bekommen", so Marina Beliaeva. Die 42-jährige Frau kämpft mit den Tränen, wenn sie mit ihren beiden Söhnen Geschäfte wie "Ugolok" besuche. Mit Waren, die einen hohen Wiedererkennungs-wert haben, wie holzerne Babuschki und Wodka "Tri Bogatiri", lockt Yaralyan seine Kundschaft und preist die Ware ansehnlich in der Auslage an.

Als Unternehmer vermisst er die Kultur des Kaviaressens in Österreich: "Kaviar ist sehr gesund. In Russland essen alle Kaviar - von Jung bis Alt." Laut Yaralyan könne man in Wien statt nur Kebap und Pizza zu verzehren, auch seinen Ernährungshorizont erweitern und Kaviar kosten. Der rote Kaviar sei "alltäglich" und passe zum Frühstück mit einer Tasse Tee und Blinis (russische Palatschinken aus Buchweizen) oder zum Abendmahl mit Wodka. Kostenpunkt für einen Kilo roten Kaviar: 98 Euro. Auf die Frage, wie man Kaviar isst, antwortet der Geschäftsmann: "Mit dem Löffel." Ob dieses Prinzip auch für den exklusiven schwarzen Kaviar gilt, ist fraglich. Da kostet ein Kilo mehr als 1000 Euro.

Kaviar hat immer eine besondere Stellung in der russischen Küche gehabt. Dieser ist zu Zeiten der Sowjetunion ein Prestigeprodukt gewesen und war eher für das Ausland gedacht. Der einfache Mann hat Kaviar damals nur zu Silvester gegessen.

"Vor Feiertagen läuft das Geschäft auf Hochtouren - wie eine Bombe. Wodka wird gekauft und getrunken", freut sich der Unternehmer Yaralyan. Der farblose Schnaps mit einem Alkoholgehalt von rund 40 Volumenprozent ist in Russland seit Ende des 15. Jahrhunderts bekannt und beliebt.

Wodka mit Salzgurken

"In den Datschen werden im Winter die Flaschen Wodka direkt im Schnee gekühlt und dann mit Salzgurken genossen", erinnert sich Marina Beliaeva. Wodka sei auf Russisch weiblich und bedeute eigentlich eine Verkleinerung von Woda (auf Russisch Wasser).

Die Spirituose gilt auch als Heilmittel, wie es aus dem Roman "Russendisko" von Wladimir Kaminer hervorgeht. "Gegen Liebeskummer hilft Wodka mit Honig und Pfeffer" - ein Geheimrezept. Nach einiger Recherche stellt sich heraus, dass genau dieselbe Mischung auch Magenprobleme und derlei anderes Unwohlsein heile.

Postsowjetisches Essen kann man an vielen Stellen in Wien, vor allem im zweiten Bezirk, kaufen oder sogar online bestellen. Es handelt sich oft um Ware, die in Österreich kaum zu finden ist. Beispielsweise Armenischer Ararat Cognac oder Armenischer Wein aus Granatäpfeln, Nussmarmelade und eine kaukasische Gewürzmischung zur Zubereitung von Fleischspießen. Auch Schlagobers mit 21 und 30 Prozent Fett wird angeboten. In Russland bereitet man mit Schlagobers viele Saucen. Weitere geliebte Produkte aus der Russischen Föderation sind Fisch (gesalzen oder geräuchert), Torten, eingelegte Gurken, Konserven mit Sauerkraut, Kohlrouladen oder Borschtsch (Rote-Rüben-Suppe) und Bier in verschiedenen Sorten und Stärken. Sehr geliebt sind die Pelmeni - mit Gemüse oder Fleisch gefüllte Teigtaschen, ähnlich zu Tortellini. Es darf auch ein weiteres russisches Nationalgetränk nicht fehlen: der Tee. Über die Seidenstraße aus China erreichten im 16. Jahrhundert die ersten Teeblätter Europa. Heute besitzt jeder russische Haushalt einen Selbstkocher, auch "Samovar" genannt.

Auch geistige Nahrung

Manche Geschäfte wie "Kalinka" (Russisch für Marienkäfer) auf der Gredlerstraße 4 im zweiten Bezirk kombinieren körperliche und geistige Nahrung. Dort sind neben Delikatessen wie geräuchertem Fisch auch Bücher auf Russisch zu entdecken.