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Geschwärzte Atompolitik

Von Petra Tempfer

Politik

Wesentliche Informationen über das AKW Mochovce werden nicht veröffentlicht.


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Wien. Immer dienstags von 9 bis 15.30 Uhr und donnerstags von 14 bis 18 Uhr. In dieser Zeit ist es noch bis 30. Juni möglich, die Dokumente zur Inbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 des Atomkraftwerks Mochovce in der Slowakei in dessen Informationscenter einzusehen. Bis 31. Juli können Stellungnahmen schriftlich geltend gemacht werden. Das Problem dabei: Große Teile der Dokumente sind geschwärzt - und zwar gerade jene, in denen es um relevante Informationen wie Erdbebensicherheit oder radioaktive Isotope geht. Denn Mochovce liegt auf einem potenziellen Erdbebengebiet, konkret auf den Ausläufern einer Bruchzone, die sich vom Wiener Becken in den Nordosten zieht. In Anbetracht der Atomkatastrophe von Fukushima in Japan 2011, ausgelöst durch ein Erdbeben, eine nicht unwesentliche Tatsache.

"Dies ist eine Vorstellung von Bürgerbeteiligung direkt aus dem letzten Jahrtausend, eine Farce", sagt dazu Reinhard Uhrig von der Umweltschutzorganisation Global 2000. Zudem lägen die Dokumente ausschließlich in slowakischer Sprache auf, und die Zeitspannen für die Einsichtnahme seien bürgerunfreundlich. Die betroffene Zivilbevölkerung - also ganz Mitteleuropa - müsste zum Teil hunderte Kilometer weit während der Arbeitswoche anreisen, um dann Dokumente auf Slowakisch einzusehen, die ohnehin geschwärzt seien, sagt Uhrig. Die Unterlagen müssten online zugänglich gemacht werden, fordert er, zudem sei die Schwärzung relevanter Informationen ein "klarer Verstoß gegen internationales Bürgerbeteiligungs-Recht". Global 2000 werde sich daher an die Espoo-Konvention der Vereinten Nationen zur grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wenden und fordere Bundeskanzler Christian Kern auf, rechtliche Schritte zu unternehmen.

"Das Verfahren erfolgt nach slowakischem Bau-Atomrecht"

Mochovce liege in der völligen Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums, heißt es dazu auf Nachfrage vom Bundeskanzleramt. Federführend zuständig sei das Umweltministerium, antwortet darauf das Wirtschaftsministerium. "Das gegenwärtige Verfahren zur Vorbereitung der Inbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 des AKW Mochovce erfolgt nach dem slowakischen Bau-Atomrecht und hat keinen Bezug zur Espoo-Konvention oder zur UVP-Richtlinie", heißt es schließlich vom Umweltministerium. Das UVP-Verfahren habe bereits in den Jahren 2009 und 2010 stattgefunden, für eine weitere grenzüberschreitende UVP habe es zwar Versprechungen, aber keine offiziellen Zusagen gegeben. Der damalige Umweltminister Nikolaus Berlakovich hatte gegen die UVP protestiert, weil die von Österreich eingebrachten Sicherheitsfragen nicht vollständig beantwortet worden seien, wie es geheißen hatte.

Die slowakische Aufsichtsbehörde habe die österreichischen Behörden über den Beginn des jetzigen Verfahrens informiert, so das Umweltministerium weiter. Dieses bestätigt auch, dass die Dokumente dazu teilweise geschwärzt seien. Begründeten Beschwerden über unangemessene Restriktionen wolle es nachgehen, heißt es zur "Wiener Zeitung". Österreich werde seine Antiatompolitik fortsetzen. "Eine europäische Energieunion ist auch ohne Kernenergie möglich und anzustreben", sagt Umweltminister Andrä Rupprechter.

Österreich distanziert sich klar von Atomenergie. Die Nichtinbetriebnahme des AKW Zwentendorf hatte 1978 zum Atomsperrgesetz geführt. Seitdem dürfen hier keine AKW mehr ohne Volksabstimmung gebaut werden. Deutschland und die Schweiz vollziehen seit 2011 einen geordneten Atomausstieg, Deutschland soll 2023 frei von Atomstrom sein, die Schweiz 2034.

Österreich kauft auch nicht wissentlich Atomstrom ein - ob ein Teil des importierten Stroms aus Atomenergie stammt, kann aber niemand so genau sagen. Tatsache ist, dass Österreich noch immer von einem Dutzend Kernkraftwerken in einer Entfernung von bis zu 180 Kilometern umgeben ist, im weiteren Umkreis sind es mehr als 30. Weltweit sind rund 380 AKW in Betrieb. Bei den Stresstests nach Fukushima schnitten vor allem Tschechien und die Slowakei schlecht ab. Die meisten Mängel gab es in den slowakischen Kraftwerken Bohunice und Mochovce sowie in den tschechischen Temelín und Dukovany.

Die Blöcke 1 und 2 des AKW Mochovce, das rund 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt ist, sind bereits 1998 und 2000 ans Netz gegangen. Deren Abschaltung ist für 2028 respektive 2030 geplant. Die Arbeiten an den Blöcken 3 und 4 waren in den 1990er Jahren aus Geldmangel eingestellt worden, seit 2009 waren sie wieder offiziell in Bau.

Das größte Kernkraftwerk Tschechiens ist Temelín mit zwei Reaktoren, für das ebenfalls Ausbaupläne existieren. Genauso wie in Temelín will man das AKW in Dukovany um einen Reaktor erweitern, das ein Fünftel der tschechischen Energieproduktion abdeckt - die aktuell vier Reaktoren haben keine Schutzhülle.

In Osteuropa wird generell massiv in den Ausbau der Atomkraft investiert. Zuletzt gab die EU-Kommission grünes Licht für ungarische Staatsbeihilfen zum 12,5 Milliarden teuren Ausbau des AKW Paks II. Mit seinen vier Kernreaktoren ist das AKW Paks I der größte Arbeitgeber der Region und deckt etwa 50 Prozent des ungarischen Strombedarfs. Mit Paks II sind nun zwei weitere Reaktoren geplant.

Bundeskanzleramt tendiert zu Klage gegen Paks II

Österreich betrachtet die Beihilfe als unzulässig und problematisch für die Förderung erneuerbarer Energien. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner drohte daher Anfang März mit einer Klage vor dem EuGH, er wollte aber abwarten, wie der Bescheid der EU-Kommission zum Ausbau des ungarischen AKW aussieht. Auch aus dem Bundeskanzleramt heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung", dass es "starke Tendenzen" in Richtung Klage gebe.

Abhängig vom Ergebnis könnte dann eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gericht gegen den Beschluss der Brüsseler Behörde eingebracht werden. Mit einer solchen Klage ging Österreich auch 2015 gegen die rund 30 Milliarden Euro teure Erweiterung des britischen AKW Hinkley Point um zwei Reaktoren vor, dessen großzügige Subventionierung die EU-Kommission ebenfalls genehmigt hatte. London und der französische Stromkonzern EDF haben die Erweiterung dennoch im September 2016 besiegelt.

Die EU unterstützte in diesen Fällen zwar die Förderungen für den Bau von Atomreaktoren, die einzelnen Mitgliedstaaten sind jedoch gespalten. Auf der einen Seite stehen jene Länder, die in erneuerbare Energie investiert haben und auch gut daran verdienen, wie Österreich oder Deutschland. Auf der anderen Seite stehen Atom-Länder wie Großbritannien, Tschechien oder Frankreich. Beide Seiten argumentieren damit, dass ihre Energien CO2-neutral und damit in Einklang mit der EU-Strategie sind, die Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren.

Atomkraft teuerste Alternative zu fossilen Brennstoffen

Atomkraft ist allerdings teuer. Einer Studie über Alternativen zu fossilen Brennstoffen im Auftrag der Wiener Umweltanwaltschaft zufolge sind AKW sogar die teuersten Kraftwerke, die derzeit gebaut werden. Die Studie hatte sich zum Ziel gesetzt, folgende Frage zu beantworten: Wie viel Energie kann mit verschiedenen Energieträgern um eine gegebene Summe Fördergeld erzeugt werden?

In den untersuchten Ländern Großbritannien, Polen, Deutschland, Frankreich und der Tschechischen Republik wären demnach die Kostenersparnisse enorm, würde man in erneuerbare Energien investieren. Betrachtet man den Zeitraum 2023 bis 2050, reichten die möglichen Kostenersparnisse gegenüber Kernenergie für dieselbe Strommenge von 8,4 Prozent (Großbritannien) bis 74,5 Prozent (Polen). Der EU-Schnitt würde sich auf 37,1 Prozent belaufen. Kleinwasserkraftwerke und Windanlagen am Festland hätten die geringsten Kosten.

In der EU stammen 27 Prozent der Elektrizität aus Atomenergie. Seit Fukushima sinkt der Anteil an Atomkraft aber beträchtlich. Dem "World Nuclear Industry Status Report 2014" zufolge sind bisher noch keine Reaktoren ohne staatliche Beihilfen ans Netz gegangen, weil die Baukosten enorm sind. Und: In Havarie-Fällen trägt meist der Staat die Kosten. AKW seien nicht versicherbar, so auch eine Studie im Auftrag des deutschen Bundesverbands Erneuerbare Energien. Die Studienautoren berücksichtigten mögliche Folgen wie Krebserkrankungen, Trinkwasserkontamination und Produktionsausfälle und kamen auf einen zu erwartenden Maximalschaden von 6000 Milliarden Euro.