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Geschwindigkeit kann lügen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Mitunter versteckt sich im steten Bemühen um größtmögliches Tempo bei der Berichterstattung eine falsche Erzählung von der Wirklichkeit. Oder drastischer ausgerückt: Geschwindigkeit kann, wenn schon nicht lügen, so doch trügen.

Das hat sich bereits bei der Atomkatastrophe in Fukushima gezeigt, als über Tage, ja sogar Wochen hinweg das Ausmaß des Unglücks im Vagen blieb. Und das zeigt sich jetzt bei der Berichterstattung über die Schuldenkrise und die Börsenkurse.

Geschwindigkeit ist im News-Business zu einem Wert an sich geworden: Getrieben vom unerreichbaren Ideal der Gleichzeitigkeit rapportieren wir Medien atemlos den jeweils letzten Wasserstand - und hinken dennoch unweigerlich hinterher.

Besonders fatal wird die sekundenschnelle Nachrichtenübermittlung dann, wenn sie zum Co-Akteur der Ereignisse mutiert: Nichts anderes ist bei den Börsegeschäften rund um den Globus der Fall. Die (vorgeblichen) Echtzeit-Medien sind längst zur Bedingungsnotwendigkeit der Märkte geworden: Die Instant-News von der Wall Street aus New York sind untrennbar mit den Kursausschlägen in Frankfurt, London und Tokio geworden - und selbstverständlich vice versa.

Medien und ihr unstillbarer Hunger nach Extremen und Aktualität sind - teils instrumentalisiert, teil bewusst - zu einem Teil des aktuellen Problems geworden. Eine atomistische Berichterstattung, die binnen Stunden, mitunter sogar binnen Minuten wieder von ihrem Gegenteil überholt sein kann, trägt nichts zur Aufklärung, zur Information, aber alles zur Verwirrung der Bürger bei. Daran ändern auch die zahllos zu Wort kommenden Experten nichts, die sich wortreich bemühen, dem Chaos Rationalität abzuringen.

In Situationen, in denen es gilt, kühlen Kopf zu bewahren, ist das nicht nur bedauerlich, sondern sogar gefährlich: In Panik hat noch selten jemand den Notausgang gefunden. Dazu bedarf es unter Stressbedingungen der Kaltblütigkeit, sich die notwendige Zeit zu nehmen, die Situation zu analysieren, Strategien für einen Ausweg zu entwerfen und die bestmögliche sodann Schritt für Schritt in die Tat umzusetzen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Politik diese ihre Kernaufgabe noch nicht aus den Augen verloren hat. Denn derzeit schaut es leider so aus, als ob sie sich von der Atemlosigkeit der Märkte und Nachrichten anstecken hat lassen.