Brisanter Inzest-Fall vor deutschem Verfassungsgericht. | Jetzt soll der Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden. | In Österreich sind eher milde Strafen vorgesehen. | Wien. Nur ein Senatsmitglied war anderer Meinung, die übrigen Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht blieben dabei - intime Beziehungen zwischen Geschwistern bleiben strafbar. Der dreißigjährige Vater von vier Kindern, deren Mutter seine eigene Schwester ist, muss wegen Beischlafs unter Verwandten für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Da seine Schwester während des Inzest-Verhältnisses teilweise noch nicht volljährig war, blieb sie selbst straflos.
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Begründung der Richter
Der Fall hat im Nachbarland einiges Aufsehen erregt. Ein aus tristen Verhältnissen stammendes Geschwisterpaar hatte sich nach langen Jahren der Trennung wieder gefunden und ineinander verliebt. Die beiden zogen zusammen, der Verbindung entstammen inzwischen vier Kinder - zwei davon sind behindert. Ein Grund für die Richter, auf die bei solchen Verbindungen besonders hohe Gefahr von Erbschäden hinzuweisen. Namhafte Experten bestätigten dies, andere sind sich nicht so sicher. Doch gab es weitere Gründe, an der Strafbarkeit der Geschwisterliebe festzuhalten. Kinder aus Inzestbeziehungen hätten Schwierigkeiten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrer nächsten Bezugsperson aufzubauen, heißt es in der Entscheidung. Weiters sieht man auch die lebenswichtige Funktion der Familie für die Gemeinschaft entscheidend gestört.
Abzuwarten bleibt nun, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Sache beurteilen wird, den der Verurteilte anrufen will. Man wird wohl auf die recht unterschiedlichen Auffassungen in den verschiedenen Ländern Europas zu diesem Problem hinweisen.
In Frankreich etwa ist der Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern schon seit 1810 nicht mehr von Strafe bedroht. Staaten wie Portugal oder die Beneluxländer sind diesem Beispiel gefolgt, andere halten an der Strafbarkeit fest und sehen zum Teil strenge Strafen vor.
Kein Thema für VfGH
In Österreich sind diese eher milde. Geschlechtliche Beziehungen unter nahen Verwandten werden im Paragrafen 211 des Strafgesetzes unter dem Titel "Blutschande" zusammengefasst. Trotz dieser altertümlichen und ein wenig bedrohlich klingenden Bezeichnung wird der Beischlaf mit dem Bruder oder der Schwester nicht besonders streng beurteilt. Die Höchststrafe beträgt sechs Monate, zuständig ist das Bezirksgericht.
Vielleicht sind die milden Strafen mit ein Grund dafür, dass anders als in Deutschland Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu diesem Problem bisher nicht bekannt geworden sind und das Höchstgericht die verbotene Liebe zwischen Geschwistern nicht beurteilen musste.
Gernot Stöger ist ehemaliger Richter und war zuletzt als Vorsteher des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha tätig.