Wie soll es nach der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens weitergehen? Nach Meinung der beim Juristentag in Innsbruck versammelten Experten ist die Antwort einfach: Mit der Erneuerung der Hauptverhandlung.
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Restlos zufrieden war der Gesetzgeber mit seiner 1873 geschaffenen Strafprozessordnung (StPO) ja nie. Vor 1945 wurden die Verfahrensregeln 26 Mal neu gefasst, zwischen 1945 und 1960 elf Mal. Zwischen 1960 und 1985 passierten 17 Novellen das Parlament. Seit 1985 wurde die StPO dann allein in jenen Bestimmungen, die die Hauptverhandlung betreffen, bereits durch 28 Novellen abgeändert. Wesentliche Fragen hinsichtlich Unmittelbarkeitsgrundsatz, Zeugenschutz, den speziellen Schutz bestimmter Deliktsopfer wurden behandelt und mit der Diversion eine völlig neuartige Verfahrensart eingeführt. Gesellschaftliche Umwälzungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Formen der Kriminalität waren meist die Ursache für Änderungen des Rechtsbestands.
Die Vorverfahrensreform, mit der die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden sollten, ist noch nicht einmal durch das Parlament beschlossen, schonmahnen die Rechtswissenschaftler den nächsten Reformschritt ein. Wolfgang Brandstetter, Uni-Professor und Verteidiger, hat für die strafrechtliche Abteilung des Juristentages das Gutachten erstellt, das den Experten als Diskussionsgrundlage dient.
Zeit für moderne Technik
Auch sei es an der Zeit, dass die moderne Technik Einzug in den Gerichtssälen hält. "Die Protokollierung sollte zwingend von einer Tonaufnahme des gesamten Verfahrens begleitet sein, auf die die Prozess-Parteien erforderlichenfalls zurückgreifen können", fordert der Experte. Damit wäre nämlich die "derzeit höchst unbefriedigende Rechtslage" hinsichtlich der Protokollberichtigung und der dagegen möglichen Rechts-mittel weitestgehend entschärft. Nebeneffekt: "Was glauben Sie, wie sich ein Richter zusammenreißt, wenn der Prozess aufgezeichnet wird."
Brandstetter mahnt zur Vorsicht, wenn es um die in der Vorverfahrensreform vorgesehene starke Ausweitung der Rechte der Privatbeteiligten (meist sind das die Verbrechensopfer) geht.
Brandstetter zur "Wiener Zeitung": "Das sollte im Hauptverfahren nochmals überdacht werden, denn überzogener Opferschutz könnte zu einer unerwünschten Emotionalisierung führen."
Demütigung des Angeklagten
Am Beispiel Kaprun zeige sich die Tendenz von Seiten der Opferanwälte, im Verfahren eine "Demütigung der Angeklagten erzwingen zu wollen". Insbesondere die Schaffung einer von zivilrechtlichen Ansprüchen losgelösten "absoluten Privatbeteiligung" in Verbindung mit dem vollen Beweisantragsrecht sei geeignet, sich negativ und menschenrechtswidrig auf die Rechte des Beschuldigten auszuwirken. Was die Grundsätze des Verfahrens angeht, regt Brandstetter als Gegenstück zur Anklageschrift die Schaffung einer "Verteidigungsschrift" an. Für die Verteidigung wünscht sich Brandstetter das Recht, eigene Sachverständige beiziehen zu können.
Skeptisch ist der Professor, was die Einführung von "Kreuzverhören" angeht, vorstellbar sei hingegen die Zweiteilung der Hauptverhandlung in die Klärung der Schuldfrage (Schuldinterlokut) und die Strafzumessungsentscheidung. Unmissverständlich Brandstetters Ansicht zur Geschworenengerichtsbarkeit: "In ihrer derzeitigen überkommenen und nur historisch verständlichen Form sollte sie beseitigt werden."
Zu viele theoretische und praktische Gründe sprächen dagegen, den Geschworenen bei Kapitalverbrechen die alleinige und nicht begründungsbedürftige Entscheidung über die Schuldfrage zu überlassen. "Jahrzehntelangen Forderungen aus Literatur und Praxis folgend", sollten die Geschworenengerichte durch "allenfalls erweiterte" Schöffengerichte ersetzt werden.