Fehler, Tendenzen und Hochrechnungen verzerren das Bild. | Glaubwürdigkeit der Wissenschaft steht auf dem Spiel. | Wien. Takeshi Hirayama ist seit dem Jahr 1981 ein weit über Japan hinaus bekannter Wissenschafter: Damals publizierte er erstmals die seither beste bekannte Kohortenstudie, die einen Zusammenhang zwischen Passivrauch und Lungenkrebs herstellte. Demnach hatten er und seine Mitarbeiter 91.540 verheiratete, nichtrauchende Frauen untersucht, von denen 200 im Zeitraum von 15 Jahren an Lungenkrebs starben.
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Zur Ursachensuche wurden mehr als hundert Hypothesen getestet, Passivrauch war zunächst nur eine von vielen Sekundärhypthosen, die herausgefiltert wurden, weil sich die Frauen als Nichtraucherinnen, ihre Ehemänner aber als Raucher bezeichnet hatten. Allerdings gab es keine Fallberichte über die Erkrankungen, etwaige Expositionen durch Arbeit, Umwelt oder die Nahrung blieben unberücksichtigt und es konnte nicht herausgefunden werden, welcher Selektion die Fälle durch die Forscher unterlagen.
Eine Autopsie gab es nur an 23 der Verstorbenen, die Ursache "Lungenkrebs" erfolgte über die Todesursachenbescheinungen (die ohne Autopsie zu einem hohen Grad falsche Diagnosen enthalten) und da es keine histologischen Befunde gab, darf bezweifelt werden, dass tatsächlich alle Frauen an Lungenkrebs starben.
Daten verweigert
Als der Epidemiologe Prof. Karl Überla (Universität München) und sein Team diese Studie 1990 einer Re-Analyse unterzogen, fanden sie noch eine Reihe weiterer Fehler und Verzerrungen, von denen die atypische Altersverteilung der Frauen und deren nicht näher untersuchte Angaben zum Thema "Rauchen bzw. Nichtrauchen" noch die geringsten waren. - Das Fazit daraus: Die Hirayama-Studie konnte keinen Nachweis für die "signifikanten Effekte" erbringen, die sie suggeriert hatte. Überla: "Ich habe Hirayama damals öffentlich aufgefordert, seine Originaldaten für eine Re-Analyse zur Verfügung zu stellen. Er hat das abgelehnt. Wenn ein Physiker, Chemiker oder medizinischer Grundlagenforscher dies verweigern würde, würde er mit Recht von der Scientific Community nicht mehr ernst genommen."
Dennoch bildet Hirayamas Arbeit bis heute die Basis für den Konnex zwischen Passivrauch und Lungenkrebs und ist seither in alle Metastudien mit aufgenommen worden, was bedeutet, dass auch ihre Fehler und Mängel mit eingeflossen sind. Und sie ist nicht die einzige, wie Überla nachgewiesen hat.
Multikausalität
Überla räumt hierzu ein: "Bei einer möglichen Multikausalität - Lungenkrebs kann zahlreiche Ursachen haben - ist es praktisch ausgeschlossen, in einer Studie alle möglichen Faktoren angemessen zu berücksichtigen, insbesondere wenn ein einziger Faktor wie das Aktivrauchen quantitativ als Ursache dominiert." Aber die wichtigsten Kriterien für Kausalschlüsse müssten erfüllt sein, wenn eine Kausalbeziehung aufgrund epidemiologischer Untersuchungen angenommen werden darf.
Ohne Beweisführung
Indessen hat es zumindest den Anschein, als seien manche Studien noch oberflächlicher geworden, seit Epidemiologen im Detail ihr Zustandekommen hinterfragen und Kritik an der nicht seltenen Praxis üben, alles auszuklammern, was das gewünschte Ergebnis beeinträchtigen könnte. Statt der Fakten werden Hochrechnungen wie jene des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (DKFZ) präsentiert, derzufolge pro Jahr in Deutschland 3300 Menschen an den Folgen des Passivrauchens sterben.
Dazu der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages: "Aus der Todesursachenstatistik lässt sich die Zahl ... nicht ableiten. Valide statistische Daten stehen nicht zur Verfügung, da diese Todesursachen im Rahmen der amtlichen Statistik nicht erhoben werden." Dafür müssten nämlich alle Toten Deutschlands (um 850.000 pro Jahr) autopsiert und zumindest die Verbliebenen nach deren Lebensumständen gefragt werden. Doch auch dann bliebe noch fraglich, ob der Lungenkrebs nicht durch Radon, Umweltschadstoffe oder Metastasen verursacht wurde.