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Gesicht verloren, Prozess gerettet

Von Alexander Dworzak

Politik

Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Rechtsextreme startet am 6. Mai.


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München/Wien. Es ist eine Blamage sondergleichen, die das Oberlandesgericht München am Montag eingestehen musste. Der Prozess gegen die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe - sie gilt als einziger noch lebender Kopf der rechtsextremen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) - sowie vier ihrer Komplizen findet nicht wie geplant ab morgen, Mittwoch, statt. Neuer Verhandlungsstart ist der 6. Mai. Grund dafür sind die Turbulenzen um die Akkreditierung von Journalisten; die Vergabe der Plätze an Medienvertreter erfolgt nun von Neuem.

Zehn Morde in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2007 gehen laut den Ermittlern auf den NSU zurück, auch Bombenanschläge und Banküberfälle. Die Täter schlugen im gesamten Land zu, erschossen einen Blumenhändler in Nürnberg, einen Gemüsehändler in München oder den Betreiber eines Internet-Cafés im hessischen Kassel jeweils aus kurzer Distanz. Acht der Opfer waren türkischstämmige Migranten, ein griechischer Einwanderer und eine Polizistin zählten ebenfalls zu den Todesopfern. Mit großem Interesse verfolgen daher türkische Medien und Politiker den NSU-Prozess. Ebenso groß war deren Entrüstung, als die Münchner Richter die vorgesehenen 50 Presseplätze ohne Rücksicht auf die ausländischen Berichterstatter vergaben.

Für Klarheit sorgte erst ein Spruch des Verfassungsgerichts in der vergangenen Woche. Die Karlsruher Richter urteilten, mindestens drei Plätze müssten für "Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten" reserviert werden. Das Gericht gab damit einer Beschwerde der türkischen Zeitung "Sabah" teilweise statt. Denn einige Medien seien früher über den Start der Akkreditierung informiert worden, "Sabahs" stellvertretender Chefredakteur Ismail Erel hatte die Information 19 Minuten später als andere Medienvertreter erhalten. Die Verfassungsrichter legten aber nicht fest, wie die Platzvergabe konkret erfolgen soll - also lag der Ball wieder bei den Münchner Kollegen.

Planlose Münchner Richter mit Angst vor Annullierung

Mit der Verschiebung des Prozesses legt das Oberlandesgericht seine Überforderung mit der Situation offen, von "Slapstick-Charakter" sprach ein Anwalt der Opfer. Dabei hätte es ganz anders kommen sollen: "Keinen Schauprozess für die Öffentlichkeit" wollte Gerichtspräsident Karl Huber führen. Niemand sollte bevorzugt werden. Völlig in den Hintergrund trat jedoch die politische Dimension des Prozesses. Immer mehr igelte sich das Gericht in Formalismen ein, gestattete etwa deutschen Journalisten, die ihren türkischen Kollegen freiwillig ihre Plätze anboten, die Rochade nicht.

Denn eine große Sorge treibt das Oberlandesgericht: Bloß keinen Fehler machen, der zur Anfechtung des Prozesses führen kann. Bereits die Videoübertragung des Prozesses in einen weiteren Saal wurde unterbunden, da TV-Aufnahmen von Verhandlungen rechtlich nicht gedeckt sind. Somit können lediglich 110 Personen die Verhandlungen in Gerichtssaal A 101 live verfolgen. Das Interesse ist enorm, neben Medienvertretern stellen die Opfer der Ermordeten einen Gutteil der Anwesenden: 77 von ihnen treten als Nebenkläger auf.

Pannen bei Aufarbeitung nehmen kein Ende

Mit der Verschiebung um knappe drei Wochen nimmt das Oberlandesgericht seinen Gesichtsverlust billigend in Kauf und ermöglicht sich, über ein völlig neues Akkreditierungsprozedere nachzudenken. "Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie der Senat das neue Akkreditierungsverfahren gestalten wird", gab Gerichtssprecherin Margarte Nötzel am Montag unumwunden zu. Die Posse um die Presseplätze ist der vorläufige Schlusspunkt einer Serie von Pleiten und Pannen in der Aufarbeitung des NSU-Terrors. Haarsträubende Fehler leisteten sich die deutschen Verfassungsschützer gegenüber den Rechtsextremen; zuletzt wurde kolportiert, dass die Verfassungsschutzabteilung im Brandenburger Innenministerium 1998 Erkenntnisse zum NSU nicht ordnungsgemäß an die Behörden in Thüringen und Sachsen weitergeleitet habe.

Keine guten Voraussetzungen also für das politisch brisanteste Verfahren seit der Anklage gegen Mitglieder der linksextremen RAF in den 1970ern. Die 38-jährige Zschäpe ist die einzige Überlebende aus dem Kern des NSU. Ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen sich nach deren Enttarnung 2011. Die beiden sollen sämtliche Morde ausgeführt haben, Zschäpe galt als gleichberechtigtes Mitglied und soll das Geld verwaltet haben. Zschäpe setzte nach dem Tod ihrer Komplizen deren gemeinsame Wohnung in Brand, versandte Bekennervideos und stellte sich der Polizei - seitdem schweigt sie. Neben ihr müssen sich vier weitere Personen wegen Beihilfe zum Mord und Unterstützung des NSU vor Gericht verantworten.