Einen Tag nach der Sondersitzung, die die SPÖ zum Thema Steuerreform einberufen hatte, verteidigt SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer seine Strategie einer Annäherung an die FPÖ in Sachfragen. Im Zusammenhang mit der Modernisierung des Sozialstaats tritt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" für eine Abkehr vom derzeitigen System sozialer Transferleistungen ein. Der Staat solle sich vielmehr darauf konzentrieren, den Menschen hochwertige öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.
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"Wiener Zeitung": In der von der SPÖ einberufenen Sondersitzung hat die Bundesregierung geschlossen gegen ein Vorziehen der großen Steuerreformetappe auf 2004 gestimmt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Alfred Gusenbauer: Die Sondersitzung hat gezeigt, dass nur die SPÖ im Stande ist, inhaltliche Konzepte vorzulegen. Wir haben einen ganz konkreten Gesetzestext für eine Steuersenkung ab 1. Jänner 2004 vorgelegt. Gezeigt hat sich auch, dass die Regierung aufgrund ihrer Uneinigkeit im Nein-Sager-Eck steht und handlungsunfähig ist. Jede inhaltliche Sachdiskussion führt sofort zu einer Debatte über das Auseinanderfallen der Koalition. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Regierung nicht mehr Probleme löst, sondern selbst das Problem ist.
Nach der Debatte um die Pensionsreform widerstand die FPÖ nun auch bei der Steuerreform den Lockungen der SPÖ. Betrachten Sie Ihre Strategie einer Annäherung an die FPÖ nun als gescheitert?
Ich will für SPÖ-Vorschläge Mehrheiten finden. Wer immer unsere Vorschläge unterstützt, ist uns recht. Man darf jedoch eines nicht vergessen: Es ist der Normalfall, dass die Opposition im Parlament keine Mehrheit findet. Dabei wäre es auch kein Problem gewesen, hätte sich die Regierung auf ein Vorziehen der Steuerreform geeinigt. Aber die Stunde der Wahrheit war am Dienstag im Parlament - und die Regierung trägt nun die Verantwortung für die wirtschaftspolitische Stagnation.
Wegen Ihrer Gespräche mit der FPÖ sind Sie aber auch innerparteilich kritisiert worden.
Ich halte diese Kritik einiger weniger für völlig verfehlt. In einer parlamentarischen Demokratie ist es selbstverständlich, dass die Opposition nicht nur kritisiert, sondern auch selbst um Mehrheiten kämpft. Es gibt das Problem, dass manche aus einer grundsätzlich berechtigten Kritik an der FPÖ heraus, Schlussfolgerungen ziehen, die für den parlamentarischen Ablauf jedoch nicht zielführend sind. Kritik kann nicht davon abhalten, Mehrheiten in Sachfragen zu bilden.
Ist die FPÖ also auch ein potenzieller Koalitionspartner?
Die Frage einer Regierungskoalition mit der FPÖ habe ich nie aufgeworfen. Das waren immer andere. Die Freiheitlichen wollen zugleich Regierung und Opposition sein. Da sie für letzteres unsere Positionen übernehmen, ist es notwendig, die FPÖ einem regelmäßigen Wahrheitstest im Parlament zu unterziehen. Dieses Doppelspiel wird zu weiteren Existenzkrisen der FPÖ führen.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer eigenen Oppositionsarbeit, an der immer wieder Kritik geäußert wird?
Wenn Nonsens oft wiederholt wird, wird er dadurch nicht wahrer. Ob bei der Pensionsreform samt Harmonisierung, bei Steuerreform oder in Gesundheitsfragen: Die SPÖ macht konkrete Vorschläge. Und es ist die Regierung, die im Nein-Sager-Eck steht.
Damit befinden Sie sich wieder auf einer Linie mit Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider, der eben dies im Zusammenhang mit der Steuerreform der ÖVP vorgeworfen hat. Er spielt nun mit dem Gedanken einer Volksbefragung.
Was die ÖVP betrifft, so ist jede Kritik an ihr in dieser Sache berechtigt. Sie hat am massivsten ihre Wahlversprechen gebrochen, hat sie doch eine durchschnittliche Steuerentlastung von 1.000 Euro jährlich für 2004 versprochen. Dass nun der Kärntner Landeshauptmann in seiner Verzweiflung versucht, das Gesetz des Handelns wieder an sich zu reißen, kann ich verstehen. Aber seine Idee einer Volksbefragung, die übrigens von der Regierung beschlossen werden müsste, kann ich nicht ernstnehmen. Das ist ein Aktionismus des Scheiterns.
Das Thema Steuerreform bleibt aber weiter am Tisch. Was plant die SPÖ für den Herbst?
Wir haben in der Sondersitzung vom Dienstag konkrete Gesetzesanträge eingebracht, die nun im Finanzausschuss beraten werden. Das ist eine gute Möglichkeit für die anderen Parteien, sich einzubringen. Außerdem werden wir eine große parlamentarische Enquete für eine Steuersenkung per 1. Jänner 2004 mit Experten und allen Parteien veranstalten. Das ist eine gute Möglichkeit, dass alle an einem Tisch zusammen kommen und noch einmal miteinander reden. Kurz: Die SPÖ wird in Sachen Steuerreform weiter politischen Druck ausüben.
Ein weiteres Thema wird im Herbst die Gesundheit sein. Sie selbst haben Selbstbehalte als grundsätzlich sinnvoll bezeichnet, da sie das Kostenbewusstsein schärfen. Wie stehen Sie zur für 2005 geplanten Einführung genereller Selbstbehalte für einen Arztbesuch?
Wir lehnen die Einführung genereller Selbstbehalte ab, denn Österreich hat bereits einen hohen Selbstbehalte-Anteil an der Finanzierung des Gesundheitswesens. Wir liegen hier europaweit im oberen Drittel. Ich warne davor, diesen Anteil noch weiter zu erhöhen, dies würde den offenen Zugang zur Gesundheitsversorgung gefährden. Bei einzelnen Selbstbehalten ist dies bereits der Fall, etwa wenn eine Zahnspange für ein Kind 2.000 Euro jährlich kostet. Ich weiß das, weil meine Tochter gerade eine Zahnspange bekommt - für mich ist die Rechnung vielleicht kein Problem, für viele andere aber schon.
Generell verfolgt hier die Regierung einen falschen Zugang, wenn sie nur darüber nachdenkt, wie mehr Geld in die Kassa kommen kann. Damit signalisiert sie allen anderen Beteiligten: "Ihr braucht nichts zu ändern" - das ist das falsche Signal. Denn dass es in einzelnen Bereichen Fettränder gibt, ist wohl unbestritten. Erst wenn diese durch Strukturreformen beseitigt sind, ist die Finanzierungsfrage zu stellen.
Werden Sie die FPÖ punkto Selbstbehalte wieder durch ein Lockangebot in Versuchung führen?
Wir machen keine Lockangebote. Wenn die FPÖ keine Selbstbehalte will, dann soll sie diese verhindern.
Bei den Auseinandersetzungen um die ÖIAG und eine mögliche Privatisierung der Voest-Alpine war auffallend, dass sich die SPÖ sehr zurückgehalten hat, als es um die Insider-Geschäfte von Voest-Vorstandsdirektor Franz Struzl ging. Vielleicht deshalb, weil er der SPÖ nahe steht?
Es wäre sicherlich am Besten gewesen, wenn es nie zu diesem Aktienkauf gekommen wäre. Offensichtlich hat sich der Voest-Aufsichtsrat entschlossen, in dieser für das Unternehmen schwierigen Situation einen erfolgreichen Manager nicht auszutauschen. Es ist aber auch auffallend gewesen, dass der für von der Regierung ernannte Kapitalmarkt-Beauftragte Richard Schenz zwar beim Fall Struzl laut aufgeschrieen hat, beim sekundenschnellen Verkauf der VA-Tech-Anteile aber schwieg.
Sie sind angetreten, die SPÖ zu modernisieren. International fällt auf, dass der einst so vielgelobte "Dritte Weg" der Sozialdemokratie offensichtlich gescheitert ist. Nach einigen Aufsehen erregenden Aussagen - Stichwort "Solidarische Hochleistungsgesellschaft" - ist es um das Netzwerk Innovation wieder ruhig geworden. Wie steht es um die Erneuerung der SPÖ?
Ich finde es interessant, dass Sie den "Dritten Weg" als gescheitert bezeichnen. Als ich selbst darauf verwies, dass dieser für Österreich nicht der richtige Weg ist, wurde ich von den Medien dafür gescholten. Was das Netzwerk Innovation betrifft, so stehen drei Themen im Mittelpunkt: Gesundheit, Harmonisierung der Pensionen und Wirtschaftspolitik. Am 3. Oktober startet eine groß angelegte Enquete, die sich der Modernisierung des Sozialstaats widmet.
Was können wir uns konkret darunter vorstellen?
Im Kern geht es darum, dass heute die Bereitstellung hochwertiger öffentlicher Güter und Dienstleistungen eine bessere Teilhabe an der Chancengesellschaft sichert als dies soziale Transferleistungen können, die an den Wurzeln der sozialen Probleme vorbei gehen. Daraus ergeben sich die Schwerpunkte: Gesundheit mit dem Augenmerk auf den offenen Zugang zu diesem Gut, eine vorbeugende Politik gegen Arbeitslosigkeit und Generationengerechtigkeit. Dabei steht die einzahlende Generation vor zwei Gerechtigkeitsfragen: Erhalten die Pensionisten eine gerechte Alterssicherung und können sie sich sicher sein, auch selbst einmal eine solche gerechte Pension aus dem Umlageverfahren zu erhalten?
Wie könnte ein solcher Ersatz von sozialen Transferleistungen durch die Bereitstellung hochwertiger öffentlicher Güter in der Praxis ausschauen?
Ein konkretes Beispiel ist die Forderung nach der Aufhebung der Zuverdienstgrenze beim Kindergeld. Wenn eine möglichst hohe Beschäftigungsquote das Ziel ist, dann darf das Kindergeld nicht von Beschäftigung abhalten, und es müssen ausreichend Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder bereitgestellt werden.
Also ist es auch vorstellbar, dass beispielsweise das Beschäftigungsverbot für Pensionsbezieher wegfällt?
Ein solcher Schritt wäre absolut sinnvoll.
Bürgermeister Michael Häupl meinte: Der nächste Bundeskanzler heißt Alfred Gusenbauer. Wann ist es so weit?
Wenn die Regierung bis dahin hält, kommt die nächste Chance 2006.
Das Gespräch führten Martyna Czarnowska und Walter Hämmerle.