Koalitionsverhandlungen in Belgien gefährdet. | Brüssel. Die längsten Regierungsverhandlungen in der Geschichte Belgiens waren am Mittwoch am Rande des Scheiterns. Grund dafür ist ein bizarr anmutender Streit über die Teilung des einzigen zweisprachigen Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde, welche die flämischen Parteien am 150. Tag der Gespräche einseitig beschlossen haben. Die Vertreter des frankophonen südlichen Landesteiles berieten daraufhin bis in die Nacht, ob sie die Verhandlungen abbrechen sollten.
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Der Sieger der Wahlen vom Juni, Yves Leterme von den flämischen Christdemokraten CD&V, müsste nach seinem erfolglosen Anlauf zur Koalitionsbildung im Juli erneut aufgeben. Sowohl seine wallonische Schwesterpartei CdH als auch die frankophonen Liberalen MR unter dem scheidenden Finanzminister Didier Reynders hatten die Abstimmung über die Teilung des Wahlbezirks aus Protest verlassen. Eine Koalition zwischen der CD&V, CdH und den flämischen Liberalen VLD sowie der MR könnte damit an der Sprachgrenze bleibend zerbrochen zu sein.
Die Abtrennung von Halle-Vilvoorde wird von den Flamen als Behebung einer historischen Ungerechtigkeit gesehen: Dort lebende französischsprachige Belgier durften für die frankophonen Parteien stimmen; Flamen, die nur wenige Kilometer südlich im mehrheitlich französischsprachigen Landesteil wohnen, dagegen nicht für flämische Parteien. Die Wallonen wollten dagegen keinesfalls auf die Sonderrechte für die frankophonen Bewohner der Umlandgemeinden Brüssels verzichten. Mit der gestrigen Abstimmung haben die Vertreter der rund sechs Millionen Flamen nun offensiv versucht, jenen der rund vier Millionen Wallonen, ihren Willen aufzuzwingen, schreibt "Het Laatste Nieuws".
Beim erneuten Scheitern der Regierungsverhandlungen ginge der Ball zurück an König Albert II. Die meisten Kommentatoren gehen nicht davon aus, dass Leterme eine dritte Chance bekommt. Als einzigen gemeinsamen Ausweg sehen sie eine Regierung der nationalen Einheit aus Christdemokraten, Liberalen und Sozialisten.