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Gestern Feinde, heute Freunde

Von Birgit Svensson

Wissen
Auf der Suche nach Verwandten auf dem britischen Kriegsgräberfriedhof in El Alamein.
© Svensson

70 Jahre danach liegen die Gräber neben Wochenend-Villen - eine Spurensuche.


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El Alamein. "Finde das Grab deines Onkels", gibt die Mutter ihrer Tochter Marion mit auf den Weg, als sie 88-jährig Ende April im englischen Manchester stirbt. Denn seit Edward Thomas George Hamilton vor genau 70 Jahren bei der für die Briten entscheidenden Schlacht des Zweiten Weltkriegs in Ägypten gefallen ist, bleibt nur ein Telegramm als Erinnerung an ihn, das seinen "heroischen Tod im Kampf" den Eltern und Geschwistern mitteilt. Ein Foto, das einen jungen Mann in Uniform zeigt, drei Bilder, die einen verwundeten deutschen Kriegsgefangenen, der von einem britischen Arzt betreut wird, ablichtet, eine Kampfszene mit Panzern an Land und eine auf See mit aus Kanonen feuernden Kriegsschiffen ist alles, was Marion Isom von ihrem Onkel in den Händen hält. Mit ihm starb auch die direkte Linie der Familie. Seine beiden Schwestern tragen die Namen ihrer Ehemänner. Allein bei Marions Bruder Graham Hamilton Isom erinnert der zweite Vorname an den Onkel, dessen Leben nach nur 22 Jahren beendet wurde. "Meine Mutter hat ihren Bruder sehr vermisst", weiß die Tochter, "bis zuletzt." Marion steigt ins Flugzeug nach Kairo.

Auch mein Onkel kämpfte im Zweiten Weltkrieg in El Alamein - auf der anderen Seite. Im Juli 1942 fand dort die erste Schlacht zwischen den Achsenmächten Italien und Deutschland und den britischen Commonwealth-Truppen statt. Sie endete in einer Pattsituation. Als Edward Hamilton am
3. November 1942 in der zweiten Schlacht fiel, war mein Onkel Egon Kunz zurück in Deutschland.

Die ansteckende Krankheit Diphtherie hatte auch ihn wie viele seiner Kameraden befallen. Für die deutschen Soldaten war das extreme Wüstenklima ein Schock. Die meisten von ihnen waren überhaupt nicht oder nur schlecht darauf vorbereitet. Geplagt durch falsche Ernährung mit fettreichen Fleischkonserven, unbequemen Tropenuniformen in der staubigen und von Sandstürmen heimgesuchten Wüste, brachen bald alle möglichen Krankheiten aus. Der Krankenstand war so hoch wie selten zuvor bei den deutschen Truppen, und die Anzahl der Soldaten und Offiziere, die ohne Unterbrechung im Afrika-Feldzug dienten, war gering.

Selbst Generalfeldmarschall Erwin Rommel musste nach zwei Jahren in Nordafrika wegen schwerer Magenbeschwerden nach Deutschland, um sich auszukurieren. Erst als die entscheidende Schlacht tobte, kehrte der "Wüstenfuchs" nach El Alamein zurück. Ob Edward und Egon sich jemals getroffen haben und sich gegenüberstanden, wird nie zu erfahren sein. Ich hole meine Freundin Marion vom Flughafen in Kairo ab. Wir wollen gemeinsam das Grab von Hamilton suchen.

Ferienparadies für Reiche

Wir sind auf dem Weg an die Mittelmeerküste. Die Wüstenstraße von Kairo nach Alexandria wird zunehmend grüner. Seit die Regierung von Ex-Präsident Husni Mubarak Ende der 1990er Jahren ein umfangreiches Agrarprogramm aufgelegt hat, reiht sich eine Farm an die andere. Rinder-, Hühner- und Putenställe stehen dort, wo zuvor karger Sandboden war. Olivenhaine und Orangenplantagen gedeihen mit Tröpfchenbewässerung. Durch Satellitenbilder konnten unterirdische Wasseradern lokalisiert werden. Quellen wurden erschlossen, Brunnen gebohrt.

Erst nach dem Abzweig Alamein, knapp 200 Kilometer nach Kairo, werden die Farben der Landschaft wieder so, wie sie vorher überall waren: beige und sandfarben. Windhosen fegen die kahlen, unbesiedelten, endlos wirkenden Wüstenbrachen entlang. Die Straße wird holprig. In Sichtweite des Meeres belebt sich das Bild. Unzählige Neubauten ragen aus dem Boden. Siedlungen mit den Namen Porto Marina zeugen von der Erschließung des ehemaligen Schlachtfelds zu einem Wochenend- und Ferienparadies für Ägyptens Reiche. Der weiße Sand an den Stränden von El Alamein, das türkisfarbene Mittelmeerwasser und die bereits existierenden Luxushotels lassen die Vergangenheit langsam in den Hintergrund treten. Das Problem seien nur die vielen Minen, die noch immer im Boden liegen, sagt ein Bauarbeiter, der gerade einen Swimmingpool im Garten einer Villa aushebt. Das mache die Arbeit hier gefährlich. Auch 70 Jahre nach der Wüstenschlacht ist das Gebiet mit zahlreichen Blindgängern und Landminen verseucht. Ungefähr ein Viertel der Kampfmittelrückstände sind Landminen, von denen insbesondere Antipersonenminen immer noch Opfer fordern. Teilweise werden diese von Schafhirten, Kamelzüchtern, Metallsammlern, Fußballspielern oder Bauern, die ihren Acker umpflügen, ausgelöst, leider aber auch von spielenden Kindern. Die Regierung beseitigt diese Landminen nur schleppend, verteilt lieber Krücken und Prothesen. Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi ist deshalb derzeit verstärkter Kritik ausgesetzt. Er appelliert nun an die Beteiligten der Schlacht um Gelder, damit die geschätzten 16 Millionen Minen beseitigt werden können.

Neun Kilometer vom deutschen Ehrenmal direkt an der Küste liegen im Landesinneren die Kriegsgräber der Commonwealth-Truppen. Mohammed betreut die Anlage und fragt, ob wir aus Australien kämen. Denn neben den Briten sind hier vor allem Australier und Neuseeländer begraben. Er zeigt uns zwei dicke Bücher mit 7500 Einträgen. Seite für Seite blättert Marion sie durch und findet den Namen ihres Onkels.

Doch der Grabstein, den Mohammed uns daraufhin zeigt, stellt sich als Grab für Unbekannt heraus. "Das kann es nicht sein", behauptet Marion. "Hamilton hat einen eigenen Grabstein. Das hat mir das Archiv in Liverpool bestätigt." Reihe für Reihe gehen wir die Gräber ab, in der brütenden Mittagshitze. Die Zypressen bieten nur wenig Schatten. Namen, die polnisch und französisch klingen, sind in die für alle gleichen Steine eingeritzt und stehen neben Briten, Australiern und Neuseeländern.

70 Jahre ohne Krieg

Nachdem Hitler-Deutschland Polen und Frankreich überfallen hatte, wollten viele auf der Seite Großbritanniens kämpfen. Die Griechen, die mit den Alliierten kämpften, haben nur wenige Meter weiter ihre eigene Grabstätte. Die gefallenen Italiener liegen in Sichtweite der Deutschen. Plötzlich ruft Marion: "Ich habe es gefunden!" Auf dem Stein steht der Name ihres Onkels, sein Regiment, sein Alter und der Todestag - 3. November 1942. Minutenlang umfasst sie den Stein, liest langsam den Satz, der eingraviert ist: "Bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang werden wir immer an dich denken." Sie hat Tränen in den Augen, als sie ein Foto ihrer Mutter neben den Grabstein des Onkels vergräbt. "Nun sind die beiden wenigstens symbolisch beieinander", flüstert Marion. Schließlich ergreift sie meine Hand. "Ich finde, wir haben den Friedensnobelpreis verdient. Fast 70 Jahre ohne Krieg. Wann hat es das schon einmal zwischen Europäern gegeben?"

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Die Entscheidungsschlacht begann am 23. Oktober 1942 um 21.30 Uhr, als britische Truppen nahe der Bahnstation El Alamein eine Großoffensive gegen die deutsch-italienische Panzerarmee eröffneten. Für die Wehrmacht kam der Angriff überraschend. Noch zwei Tage zuvor meldete die Spionageabteilung des Heeres, in Nordafrika sei "in allernächster Zeit nicht mit größeren feindlichen Angriffsoperationen zu rechnen". Am

4. November gelang der britischen Achten Nil-Armee unter Bernard Montgomery der Durchbruch. Binnen weniger Wochen drängte sie die deutsch-italienischen Truppen 3000 Kilometer westwärts bis nach Tunesien, wo sie am 13. März 1943 kapitulierten. Die Bilanz der Schlacht um El Alamein war verheerend. Die Commonwealth-Truppen verloren 13.500 Soldaten, die Achsenmächte 37.000. Montgomerys Sieg war der erste große Erfolg der Briten zu Lande im Zweiten Weltkrieg. Churchill fasste dies überhöhend zusammen: "Vor Alamein errangen wir nie einen Sieg, nach Alamein erlitten wir keine Niederlage mehr."