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Gestern: Kabul. Morgen: Paris?

Von David Th Ausserhuber

Leserforum

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Wie es so ist, Terror live oder medial mitzuerleben, das weiß man in Afghanistan nur zu gut. Wer gegen wen wie kämpft und überhaupt wofür, diese Frage bleibt für viele Afghanen dabei unbeantwortet. Genauso wie die Ungewissheit, wann und an welcher Ecke es wieder knallt. Beschreibt das jetzt die Zukunft Europas?

Gestern Kabul, morgen Paris?

Die Angst vor dem Terror geht um. Genauer gesagt vor künftigem Terror. Nun sind fiktive Umwandlungen von gerade vernommenen Nachrichtenmeldungen in zukünftiges Kopfkino wenig konstruktiv. Da gilt zu bedenken: Jetzt leben wir im Heute und erst daraus erwächst das Morgen. Glücklicherweise gibt es ja momentan auch nachhaltig Konstruktives, sowohl in Frankreich als auch in unmittelbarer Nähe von afghanischen Kriegsgebieten, letzterem möchte ich dann an dieser Stelle einige Zeilen widmen. Vorweg: Mit dem Terror verhält es sich wahrscheinlich so wie bei anderen Tragödien, denn er bestimmt das Leben dauerhaft nur dann, wenn man es zuläßt.

Heute: Kunsthauptstadt Bamiyan

Mental zulassen, das ist jetzt das Stichwort. Denn das Lebensglück von vielen Afghanen, die in ihrer Kindheit am Nachhauseweg von der Schule auch schon mal öffentliche Hinrichtungen mit anzusehen hatten und später beim Fußballspielen mehr als knapp dem fatalen Tritt auf eine Landmine entgingen, kann heute nicht mehr von rein äußeren Umständen abhängen. Als Beispiel dienen Bewohner der Stadt Bamiyan, ein bedeutendes Zentrum des Volkes der Hazara. Bamiyan, das ist mitten im terrorgeplagten Afghanistan. Dort, wo der Terror im Jahre 2001 mit der Zerstörung der butha zuschlug. Hazara, das ist der Volksstamm, der bis zum heutigen Tag spezielles Angriffsziel unberechenbares Terrors ist, wenn seine Menschen nur das Gebiet des sehr friedlich wirkenden Hazarajats verlassen. 13 Personen des Stammes der Hazara wurden im November im Süden Afghanistans gekidnappt, 14 im Juli, mindestens 16 im März und April, 32 im Februar: Dieser reaktivierte Reigen von Angriffen gegen sie mit ungewissem, oft tödlichem Ausgang scheint schier kein Ende zu nehmen.

Heute: Kunst siegt über Terror

Die jungen Kunst- und Philosophiestudenten an der Universität in Bamiyan schreiben jedoch ein neues Kapitel in dieser blutroten Geschichte. Für sie ist ihre persönliche Zeitleiste hier noch lange nicht zu Ende. Genauso wenig für Kabir Dadras, Leiter des Amts für Information und Tourismus in Bamiyan, denn: Das erste Jahr der Kulturhauptstadt Südasiens ist soweit sehr erfolgreich verlaufen. Und diese war, nein, nicht Indiens verträumtes Agra oder Nepals museale Metropole Kathmandu, sondern Afghanistans wiederbelebtes Bamiyan. Afghanistans zweiter Vizepräsident nannte das "eine der größten Errungenschaften der jüngeren Geschichte Afghanistans", und Kenner werden ihm beipflichten.

Heute: Ansichtssache

Es scheint, als wäre für einige Medien "Terror" der Schlusspunkt ihrer Reports. So war es oft bei Meldungen über Afghanistan. Sonst so seitenfüllende - und ohne Zweifel angebrachte - Berichterstattungen über triebgesteuerten Terror fielen dann nämlich bei wirklich konstruktiven Ereignissen äußerst wortkarg aus. Schade. Wird hier die Aufmerksamkeit rein auf eine Diagnose gelenkt, nicht auf Menschen, die hinter ihr stehen und reduziert damit Betroffene rein auf einen Zustand: Terror? Im der Provinz Bamiyan erscheint dies im Jahresrückblick unzureichend objektiv, wahrlich, Entwicklungen dort mögen den einen oder anderen sogar richtig positiv überraschen. Denn nach der Ernennung Bamiyans als Kulturhauptstadt Südasiens Anfang des Jahres begann in dieser Stadt tatsächlich eine Art neue Zeitrechnung. Bamiyan, die Kulturhauptstadt Südasiens und die erste Kulturhauptstadt Südasiens überhaupt. Ein lange verschwunden geglaubtes Lebensgefühl kehrt langsam in diese Stadt zurück. Mit ihm auch eine kleine Schar von internationalen Kunstliebhabern, die ausschließlich über den Luftweg einreisen können. Denn ja, Bamiyan befindet sich mitten in der Kampfzone, nur in der gleichnamigen Provinz herrscht Ruhe und Frieden. Dazu jedoch ein außergewöhnlich ausgeprägter Kunstsinn, der wie ein leuchtender Juwel auf die kriegsgeplagte Generation Afghanistans Strahlen wirft. Auch auf Europa, wenn sich der erste Staub der Attentate und Bomben gelegt hat und der Leser sich für Nachrichtenmedien entscheidet, die sie durchlassen.

Morgen?

Realistisch einen Blick auf Morgen wagen. Realistisch -- ist dass jetzt wirklich die Neigung, panisch mit dem eigenen Leben aufzuhören, voreilig nur mehr den gedanklichen Überlebensmodus einzulegen und blutrot zu sehen? Ein Vorbild für so eine tragische Krisensituation sind Personen, die sich mit einer neuen medizinischen Diagnose zurechtfinden müssen. Wie und wann bricht er aus? Bricht er überhaupt aus, der (nicht länger unbekannte) Feind im Körper? Diese Diagnose kann gedanklich terrorisieren, muss sie aber nicht. Hängt mitunter sehr stark von der Initiative und Einstellung der betroffenen Person ab. Und weil jetzt auch gerade wieder im Kopf das Bild von Patienten und Diagnosen aufblitzt: Einen momentan leidenden Patienten nur rein über seine aktuelle Diagnose zu definieren ist kaum vernünftig noch hilfreich. Es bedeutet beiderseitige Würde, sich ihn stets in seiner ursprünglichen, individuellen und potentiellen Schönheit vorzustellen. Beispiel: Woran denken wahrscheinlich die meisten beim Thema Afghanistan? Ich vermute stark, näher darauf einzugehen erübrigt sich. Zumindest hoffe ich dass durch diese und künftige Artikel ein Stück Würde und etwas objektive, realistische Wahrnehmung in den Augen der interessierten Leserschaft dazu gewonnen wird.

Für Europa steht an diesem Punkt schon einmal ganz sicher fest: Die neue Diagnose namens Terror(-Gefahr) ist zwischenzeitlich stark ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, Europa als einzigartig schöne Heimat früher, gegenwärtig und zukünftig ändert sich deshalb trotzdem nicht. Für Afghanistan: Ein couragierter Personenkreis lebt dem Rest der Welt derzeit diese Sichtweise mit seinen selbstbewussten Kunstprojekten vor. Er tut es mit unzerstörbarem Pioniergeist. Er tut es mit lebensbejahendem, potentiell zukunftweisendem Kunstsinn. Und er tut es heute.

David Th Ausserhuber ist eingetragener Mediator in Österreich, Italien und Afghanistan und führt strukturierte Mediationen in Deutsch, Englisch und Persisch durch.