Zum Hauptinhalt springen

Gestern noch verrückt, heute schon normal

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Die neuen linken Enteignungsfantasien drohen ernsthaften Schaden anzurichten - aber nicht den, dass sich die Geschichte wiederholt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Dass die (vermutlich) künftige EU-Abgeordnete Julia Herr (SPÖ) langfristig eine Verstaatlichung privater Unternehmen für wünschenswert hält - so ähnlich wie der deutsche Juso-Chef Kevin Kühnert, nur halt gemächlicher - beinhaltet eine durchaus heitere Note. Wenn sie ernst meint, was sie fordert, muss sie nämlich für Österreichs EU-Austritt plädieren, noch bevor sie als EU-Abgeordnete angelobt wird. Denn das Recht auf Eigentum, das hier de facto weitgehend abgeschafft würde, ist integraler Bestandteil der EU-Grundrechtecharta, der Menschenrechtskonvention und damit des EU-Rechtes. Das widerspricht dem Gedanken, so einfach mir nichts, dir nichts Privatbesitz zu enteignen. In einer Demokratie kann man ja dieser Meinung sein, wie töricht sie auch sein mag. Man sollte es nur freundlicherweise auch so darstellen, damit sich jeder ein Bild machen kann, bevor er in der Wahlkabine dann sein Kreuz macht.

Nun muss man trotzdem nicht gleich hyperventilieren, wenn Jungsozialisten von überschaubarer Relevanz auf der Suche nach Aufmerksamkeit ihre Enteignungsfantasien öffentlich machen, das ist halt so unter den Bedingungen der Aufmerksamkeitsökonomie nun mal so.

Wesentlich bedenklicher ist, was die mittelbaren Auswirkungen solcher intelligenzbefreiten Forderungen sind. Es droht nämlich weder die Auferstehung aus Ruinen der DDR noch die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter der strengen Leitung der Genossin Herr, sondern eine zunehmende Verschiebung des Diskursraumes nach viel weiter links, wo nach Verstaatlichung und Abschaffung des Privateigentums gerufen wird, was bis vor kurzem selbst am Narrensaum der SPÖ undenkbar war - mit der fatalen Folge, dass bisher eher radikal erscheinende linke Positionen wie hohe Vermögens- und konfiskatorische Einkommensteuern von 70 Prozent plötzlich nach moderater Mitte aussehen, auch wenn sie es nicht sind. Schließlich gibt es ja plötzlich, anders als bisher, noch weiter links davon noch weit radikaleren Unfug am Meinungsmarkt.

Das Ganze ähnelt der "Door in the face"-Technik der Soziologie: Man fragt nach einem so unverschämt großen Gefallen, dass praktisch jeder entrüstet ablehnt. Dann bittet man um etwas sehr viel Geringeres (die tatsächliche Forderung) und hat gute Chancen, dass das Opfer diese Bitte erfüllt. Diese "Nullpunktverschiebung" wurde empirisch immer wieder unter Laborbedingungen getestet und hat immer funktioniert.

Die reale Gefahr, die von Politikern wie Kühnert oder Herr ausgeht, ist daher nicht, dass morgen BMW zu einem volkseigenen Betrieb oder Red Bull auf dem Wege der Enteignung zu einer Sektion des Landwirtschaftsministeriums umformatiert wird. Die wirkliche Gefahr ist, dass - "Door in the face" - die Umsetzung einer traditionell linken Wirtschaftspolitik stark etatistischer Natur mit einem übermäßig fetten und entsprechend räuberischem Staat durch derartige Extrempositionen plötzlich zur moderarten Mitte mutiert und damit naturgemäß leichter politisch auf den Boden zu bringen ist.

Ob dergleichen abgesprochen und daher Strategie ist (eher unwahrscheinlich) oder nicht, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, denn das Ergebnis ist in beiden Fällen das gleiche - nämlich das gleich schlechte.