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"Gestorben bin ich noch nicht"

Von Andreas Unterberger

Politik
Veit Sorger hat große Sympathien für das dänische Job-Modell. WZ/Strasser

Gespräch mit Veit Sorger: Telekom-Privatisierung hat keine Dringlichkeit. | 30 Millionen Industriegeld für Elite-Uni. | Ja zur PKW-Maut. | "Wiener Zeitung": Die Industriellenvereinigung spricht sich ständig für einen Rückgang der Staatsquote aus. Aber wenn es eigene Interessen betrifft, ist man dann doch bisweilen für Subventionen.


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Veit Sorger: Die Frage der Subventionen hat nicht mehr das Gewicht wie in den späten Siebzigerjahren. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Industrie ja viel mehr internationalisiert hat.

Beim Projekt Eliteuniversität hat Professor Zeilinger am Anfang stark auf Zusagen aus der Industrie gebaut. Da gibt es seither Enttäuschungen.

Ein Projekt wie die Eliteuniversität bringt ohne privaten Einfluss nicht den gewünschten Erfolg. Das Abkoppeln vom Staat sollte eigentlich ein Garantiefaktor der Eiliteuni sein. Wir haben wenige Rohstoffe in Österreich - wir haben Wasser, wir haben Wald und wir haben Köpfe. Auf einer Eliteuni sollen aus einer Vielzahl von Forschungsergebnissen neue Unternehmen und neue Jobs entstehen. Die Eliteuniversitäten in den USA rund um Boston beschäftigen 51.000 Leute und kreieren 3,9 Milliarden Dollar Ausgabenvolumen jährlich.

Und woher soll dieser private Anteil herkommen?

Da besteht ein sehr breites Einverständnis vieler Firmen, dass wir hier Flagge zeigen werden. Wir werden nicht die Summe bringen können, die Professor Zeilinger am Anfang erwartet hat. Aber wir werden eine namhafte Summe - im zweistelligen Millionenbereich - aufstellen.

Jährlich?

Nein, das ist ein einmaliger Betrag. Wir legen schon Wert darauf zu sehen, was mit dem Geld geschieht und dass es nicht in die Administration, sondern in die Forschung geht. Jetzt warten wir auf die Konzepte.

Ihr gemeinsamer Auftritt mit der Arbeiterkammer in Sachen Familienpolitik hat für Verwirrung gestiftet: Teilen Sie da in allen Positionen die Meinung der Arbeiterkammer?

Man hat uns ja immer nachgesagt, dass wir der Sozialpartnerschaft skeptisch gegenüberstehen. Wir erachten die Gespräche zwischen den Sozialpartnern aber als besonders wichtig.

Frauen nach einer Geburt wieder früher in den Arbeitsprozess einzubringen, das ist für uns ein wichtiges Thema. Sie können aber nicht früher zurückkommen, wenn keine Kinderbetreuungsplätze da sind. Wir haben eine Studie gemacht, der sich auch die Arbeiterkammer angeschlossen hat. Von uns ist das ja nicht als Kritik an der Regierung verstanden worden, sondern als Ergänzung jener Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, aber eben eine Weiterentwicklung brauchen. Wir wollen, dass die Zuverdienstgrenze flexibilisiert wird. Und was wir auch wollen - da unterscheiden wir uns von der Arbeiterkammer -, ist ein Stufensystem: Wenn eine Frau statt drei Jahren nur zwei Jahre weg ist, dann soll sie nicht die gesamte Summe der drei Jahre bekommen, aber etwa 220 Prozent eines Jahresbetrags. Es soll attraktiv sein, so rasch wie möglich an den Arbeitsplatz zurückzukommen. Wir wollen auch ein Schecksystem. Man kann sich aussuchen, welcher ist der beste Kinderbetreuungsplatz? Das schafft Wettbewerb.

Viele meinen aber: Es ist gut für die Kindererziehung, wenn Frauen eine etwas längere Zeit als das absolute Minimum bei den Kindern bleiben.

Wir sagen ja, sie können 24 Stunden in der Woche, also 60 Prozent, maximal arbeiten, und damit bleibt auch mehr Freizeit für Kinder und Familie.

Wie kommentieren Sie denn den Metallarbeiter-Lohnabschluß?

Große internationale Firmen mit sehr guten Ergebnissen vertragen diesen Abschluss. Für die vielen mittelständischen Verarbeitungsbetriebe ist das sehr hoch. Dieser Abschluss wird zu einem tiefen Nachdenken führen: Es ist undenkbar, dass in Hinkunft weiterhin alles über einen Kamm geschoren wird. Große Firmen, Rohstofffirmen, verarbeitende Firmen, das geht nicht gemeinsam.

Das höre ich seit Jahren.

Wir werden diese Gespräche führen.

Für Sie persönlich muss dabei noch ein anderer Aspekt schmerzlich sein: Sie haben sich ja davor öffentlich sehr für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit eingesetzt. Da wurden Sie von der Gewerkschaft auf die Kollektivvertrags-Verhandlungen verwiesen und nun ist auch dort nichts Relevantes verändert worden. Das war ein Begräbnis in zwei Etappen.

Gestorben bin ich noch nicht. Auch nicht mein Vorschlag. Vor kurzem haben wir hier einen Vertreter unseres dänischen Partnerverbandes gehabt, der hat berichtet: Dänemark hat das größte Wirtschaftswachstum, die niedrigste Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten und das höchste Maß an Flexibilisierung. Es gibt keine Bindung an lange Kündigungsfristen und die Firmen stellen viele Mitarbeiter an. An solche Beispiele sollen wir uns halten. ÖGB-Präsident Verzetnitsch lehnt mein Modell ab, weil er von falschen Parametern ausgeht, nämlich: Alle Überstunden wären weg. Davon ist ja gar keine Rede, sondern wir haben eine fixe Arbeitszeit für ein Jahr oder zwei Jahre, und alle Stunden, die darüber liegen, werden als Überstunden bezahlt.

Am Ende des Jahres?

Man kann es auch akkontieren. Aber dass die Normalarbeitszeit von acht auf zehn Stunden geht, das ist für die Dänen selbstverständlich. Die arbeiten je nach Auftragslage eine Woche zwanzig und die nächste fünfzig, sechzig Stunden.

Ohne Überstundenbezahlung?

Ohne - solange die Jahresarbeitszeit nicht überschritten wird. Das kann man auch in Stufen entwickeln. Aber wenn man mit Formulierungen wie "Lohnraub" kommt, dann ist das wahnsinnig schwierig.

Verzetnitsch sagt aber dazu: Dafür gibt es in Dänemark eine relativ hohe Arbeitslosenunterstützung.

Das stimmt, das ist großzügiger als bei uns. Es ist dort aber auch ein angebotener Job sehr rasch anzunehmen und es gibt keine Unzumutbarkeitsbestimmungen. Wenn der erste Job nicht angenommen wird, wird das Geld gestrichen. Das ist wesentlich rigider als bei uns.

Ich betone aber auch: Der Flexibilisierungsgewinn ist zu teilen. Wir wollen das Wirtschaftsforschungsinstitut beauftragen, das zu bewerten. Arbeitnehmer, Betriebsrat, Unternehmer sollen sich dann wie aus einer Speisekarte etwas aussuchen können: Pensionsvorsorge, Weiterbildung, Bonifizierung, Unternehmensanteile.

Wechsel zum Thema "Asfinag". Die baut zwar derzeit kräftig neue Straßen, aber das Geld wird in wenigen Jahren aufgebraucht sein und dann bleiben nur Schulden. Ist das nicht eine versteckte Form der alten Staatsverschuldung? Und was sind die Folgen? Bauen wir künftig halt weniger oder gibt es neue Abgaben?

Eine Einschränkung der Bautätigkeit kommt nicht in Frage. Wir haben jahrelang einen Stillstand gehabt. Unsere Verkehrsanbindungen sind unbefriedigend. In den nächsten 15 Jahren wird es 70 Prozent mehr Export und Import geben. Das Fehlen einer erstklassigen Infrastruktur ist eine sehr starke Beeinträchtigung des Standortes Österreich. Das darf es einfach nicht sein. Da ist eine kilometerbezogene Leistung zu erbringen . . .

Also Maut auch für PKW?

Auch für PKW. Bei gleichzeitiger Entlastung von vielen PKW-Steuern, die nicht der Infrastruktur zugeordnet sind.

Die Politik ist da aber strikt dagegen.

Ich weiß, dass das Thema nicht sehr populär ist. Aber wir werden darum nicht herumkommen. Kilometerbezogene Abgaben sind jedenfalls leichter zu erklären als Pauschalierungen.

Und eine Erhöhung der LKW-Maut?

Unsere LKW-Mauten sind hoch genug im internationalen Vergleich. Ich glaube nicht, dass wir der Industrie und unserem Transportwesen eine Erhöhung zumuten können.

Dafür spricht aber das Umweltargument: Es ist schädlich, wenn es zu billig ist, auf der Straße Güter zu transportieren statt auf der Schiene.

Wir setzen uns auch sehr dafür ein, dass der Schienenausbau entsprechend stattfindet. Man kann sich nur wünschen, dass das ÖBB-Management den notwendigen finanziellen Rückhalt hat, um die Schiene weiterhin zu verbessern.

Hat die Industriellenvereinigung zum Thema Atomstrom eigentlich eine Meinung?

Ich habe schon eine Meinung dazu: Ich sehe, dass Finnland, das uns in so vielen wirtschaftlichen Bereichen ein sehr positives Vorbild ist, ein neues Atomkraftwerk baut. Dass die Schweiz sich mit der Atomkraft intensiv beschäftigt, dass Italien entsprechende Atomkraftwerke haben will. Ich sehe gewisse Aktivitäten in den östlichen Nachbarländern. Wir beobachten das und nehmen zur Kenntnis, dass in Österreich kein Atomkraftwerk zur Diskussion steht.

Ist das gut für Österreich?

Das bewerte ich nicht. Wir brauchen einen wettbewerbsfähigen Strom.

Ist eigentlich die Tendenz der Abwanderung industrieller Arbeitsplätze überhaupt noch zu stoppen? Ganze Industriebranchen, in denen wir früher sehr präsent waren, sind in Österreich nicht mehr vorhanden.

Es gibt zwei unterschiedliche Tendenzen: In Amerika ist die Transformation von der Industrie zu einer Dienstleistungsgesellschaft schneller gegangen. Das muss überhaupt nichts Schlechtes sein und wenn man es gescheit macht, so wie die Iren, die Engländer und die Dänen, dann ist es nicht mit großer Arbeitslosigkeit verbunden.

Auf der anderen Seite - etwa in der Textilindustrie - ist dieser Umstieg nicht gelungen. Es gibt aber nach wie vor erfolgreiche Textilunternehmen, die eben einen Teil im Ausland fertigen lassen und einen anderen Teil in Österreich halten.

Es ist sehr wichtig, Produkte mit hoher Wertschöpfung, mit Forschung und Entwicklung hierzubehalten. Wir sollen aber um Gottes willen nicht verhindern, dass wir uns weiterhin internationalisieren und im Ausland Erträge erwirtschaften, damit wir Ausbildung, Eliteuniversitäten und alles, was dazugehört, hier haben, um über neue Produkte und Unternehmen künftige Arbeitsplätze zu schaffen.

Sie sprechen immer wieder von der Ausbildung: Die Pisa-Studie und andere Untersuchungen zeigen, dass insbesondere die Kinder der Gastarbeiter, die bis zu den 90er Jahren der Industrie wegen nach Österreich gekommen sind, dabei sind, zu einem Reserveproletariat ohne Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu werden.

Trotzdem werden wir für gewisse Servicebereiche einfache Arbeiter brauchen. Etwa im ganzen Krankenhaus- und Pflegebereich. Gerade diese Familien sind gewohnt, sich um ältere Menschen zu kümmern.

Die von der Gewerkschaft bekämpfte Dienstleistungsrichtlinie wird von Ihnen sehr begrüßt.

Die ist jetzt in Brüssel in eine Form gegossen worden, die uns Hoffnung macht, dass das als Jobmotor wirklich in Kraft gesetzt werden kann. Auf diese Art und Weise kann der Markt belebt werden und es gibt neue Jobchancen.

Das Klima für Privatisierungen scheint sich in Österreich deutlich verschlechtert zu haben.

Den Eindruck teile ich nicht. Ich sehe nur glückliche Betriebsräte und Manager in einst staatlichen Unternehmen. Diese tätigen gigantische Investitionen und haben höchste Börsenkurse. Das Thema Privatisierung hat aber nicht mehr den alten Stellenwert, weil das Meiste erfolgreich privatisiert worden ist. Was jetzt noch geblieben ist, ist die Post und die Telekom.

Und der Strom.

Und der Strom. Aber noch zur Post: Ich halte es nicht für notwendig, die Post zu hundert Prozent zu privatisieren. Wir wären total glücklich, wenn es 49 Prozent wären, dass das Internationalisierungsprogramm entsprechend stattfindet. Und bei der Telekom sind 25 Prozent noch möglich, ich würde es nach wie vor für gesund halten, wenn das gemacht wird, aber es ist keine Dringlichkeit da. Das Unternehmen ist erfolgreich, die Börsewirkung ist vorhanden und wenn jetzt die Regierung sagt: "Wir haben eine so intensive Privatisierung gemacht, jetzt können wir ein paar Jahre warten, bis sich eine österreichische Kernaktionärsgruppe bildet, und nehmen inzwischen die Dividende", dann soll mir das recht sein.