Paris - Während sich die rund 900 an der Côte d'Azur gestrandeten Kurden langsam von den Strapazen ihrer Reise in den stinkenden Laderäumen eines Frachters erholen, wird die Asyldiskussion in Frankreich von Tag zu Tag heftiger. Die "Grande Nation" ist zerrissen zwischen Mitgefühl und der Angst, der illegalen Einwanderung die Schleusen zu öffnen, wenn sie die Menschen aufnimmt.
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"Was sollen wir jetzt mit ihnen tun?" fragen sich nicht nur die Zeitungen. Zum einen stellt die große Zahl der Hilfe suchenden Männer, Frauen und Kinder die Regierung in Paris vor ein Problem.
Noch dazu sind sie Kurden aus dem Irak. Und zurück zu Diktator Saddam Hussein, den die USA und Großbritannien gerade erst mit Luftangriffen abgestraft haben, könne das Land der "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" sie doch wohl schlecht schicken, meinen viele.
Premierminister Lionel Jospin verweist zwar ausdrücklich auf die "humanitäre Verpflichtung" seiner Regierung. Aber: Jeder Fall müsse einzeln geprüft werden. Und auf keinen Fall dürften die kriminellen Schlepperbanden vom Ausgang der Flüchtlingstragödie profitieren. "Es wäre falsch, das Herz gegen den Verstand auszuspielen", meint auch der Sprecher der Sozialistischen Partei (PS). Und Innenminister Daniel Vaillant sagt: "Abgesehen vom Gefühl gibt es auch Regeln." Angesichts des Dilemmas forderte die angesehene Tageszeitung "Le Monde" eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik.
Inzwischen können die Flüchtlinge in der zum Übergangslager umfunktionierten Armeekaserne von Frejus nach der achttägigen Odyssee unter Deck endlich ihre Wäsche waschen und sich ausruhen. Während die kurdischen Kinder zaghaft wieder beginnen zu spielen, bereiten sich Dutzende Richter und Anwälte auf die gerichtliche Anhörung der "Boat-People" vor, die an diesem Mittwoch im nahe gelegenen Städtchen Draguignan beginnen soll. Jeder einzelne der 430 erwachsenen Kurden wird die Behörden davon überzeugen müssen, dass er oder sie in der irakischen Heimat politisch verfolgt wird. Die Entscheidung darüber, ob die Menschen einen offiziellen Asylantrag stellen können, muss innerhalb von 30 Tagen fallen. Der Frachter "East Sea" war am Samstagmorgen bei Saint-Raphael gestrandet, unweit des mondänen Ferienortes St. Tropez.
Bisher waren Schiffe mit Hunderten Flüchtlingen an Bord vor allem vor der italienischen Küste ein gewohntes Bild. Jahrelang hatte Rom die illegale Zuwanderung als Akt der Humanität geduldet. Heute werden deutlich mehr illegale Einwanderer aus Italien ausgewiesen als noch vor Jahren, zuletzt etwa 60 Prozent. Die Mehrheit der nach Italien gelangten Kurden will aber nicht bleiben, sondern zu Angehörigen und Bekannten in Deutschland oder Frankreich. Paris lagen Berichten zu Folge im vergangenen Jahr 38.000 Asylanträge vor, von denen etwa 15 Prozent anerkannt wurden.