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Man muss die Logik des EU-Regierungssystems nicht nur verstehen, um sie den Bürgern schmackhaft zu machen, sondern vor allem auch reformieren.
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Eine Replik auf den Gastkommentar von Heinrich Schneider vom 4. April.
Heinrich Schneider hat recht, wenn er meint, es gäbe kein Allheilmittel gegen "die vielfältigen EU-Krisen". Aber gerade schwierige Zeiten erfordern neue politische Wege und Alternativen. Wenn weitere Integrationsschritte unausweichlich scheinen, muss die Bevölkerung Teil dieses Prozesses sein. Sonst kann die Europäische Integration nicht funktionieren. Eine breite öffentliche Diskussion über die Weiterentwicklung der EU wäre hier hilfreich.
Die Idee der Wahl des EU-Kommissars im Rahmen der Europa-Wahlen ist ein erster Diskussionsbeitrag. Das Konzept beruht auf keinem, wie Schneider schreibt, "Unverständnis". Hier geht es nicht um eine Nationalisierung, sondern um eine stärkere demokratische Legitimierung europäischer Politik und Politiker. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, war zum Beispiel 2009 zugleich Spitzenkandidatin ihrer Partei bei den EU-Wahlen in Luxemburg und Kandidatin für den Kommissionsjob. Trotzdem ist sie nicht "die luxemburgische EU-Kommissarin", sondern "die EU-Kommissarin aus Luxemburg". Sie dient ausschließlich der EU, ist aber durch die nationale EU-Wahl dafür zusätzlich legitimiert. Wieso sollte das nicht auch in Österreich funktionieren? Ist das derzeitige Ernennungsprozedere, die Nominierung des EU-Kommissars durch die Bundesregierung - nach "Rücksprache" mit dem Kommissionspräsidenten - wirklich der bessere Weg?
In Österreich brächte jedenfalls ein Match um den Kommissionsjob einiges in Bewegung. Die Wahl des EU-Kommissars könnte die nächsten EU-Wahlen im Frühjahr 2014 zu einem EU-Ideenwettbewerb machen, der Bevölkerung mehr Mitsprache geben und das allgemeine Interesse und die Wahlbeteiligung erhöhen.
Ein weiterer Denkanstoß wäre die Direktwahl des Kommissionspräsidenten. Jede Fraktion im EU-Parlament könnte ihren Kandidaten nominieren, der sich dann im Rahmen der EU-Wahlen dem Votum der Wähler stellen würde. Der Kandidat mit den EU-weit meisten Stimmen erhielte das Amt. Sollte es hier keine EU-weite Einigung geben, könnte Österreich eine demokratiepolitische Vorreiterrolle übernehmen: Vorausgesetzt die Fraktionen im EU-Parlament nominieren tatsächlich vor den EU-Wahlen ihre Kandidaten, könnten die Österreicher in einer nationalen Abstimmung einen davon wählen. Wenn der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit den neuen Kommissionspräsidenten vorschlägt, wäre Österreichs Regierungschef an das nationale Votum gebunden. Die direktpolitische Dynamik und das mediale Echo eines solchen Experiments könnten sich auf andere EU-Länder übertragen, aufgrund des öffentlichen Drucks Nachahmer finden und eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten letztlich unausweichlich machen; auch wenn diese manchen politischen Interessen in Europa möglicherweise diametral entgegensteht.
Und die Moral von der Geschicht’: Ein Mehr an europäischer Demokratie und vor allem Mut zu neuen - wenn auch "simplen" - Integrationsideen schaden wirklich nicht.
Gastkommentar "Mehr Demokratie für die EU! Recht so, aber wie?" von Heinrich Schneider vom 4. April