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Bund, Sozialversicherung und Länder unterzeichnen am Mittwoch eine Grundsatzvereinbarung zur Gesundheitsreform.
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Wien. Die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitssystem wachsen seit Jahren stärker als das Bruttoinlandsprodukt. Ließe man alles beim Alten, würden die Ausgaben - ohne Investitionen und ohne Langzeitpflege - im Jahr 2020 schon 32 Milliarden Euro betragen. Zum Vergleich: 2010 lagen diese noch bei 20,262 Milliarden Euro. Ab 2013 soll aber eine gemeinsame Zielsteuerung der überbordenden Kostensteigerung - vor allem im Spitalsbereich Einhalt gebieten. Ein bundeseinheitliches Krankenanstaltengesetz wird es aber nicht geben, die Länder beharren auf ihren Landesgesetzen.
Seit mehr als einem Jahr verhandeln daher Bund, Hauptverband der Sozialversicherungsträger und Länder eine Gesundheitsreform. Morgen, Mittwoch, soll eine "Politische Vereinbarung über ein partnerschaftliches Zielsteuerungssystem für das österreichische Gesundheitswesen und einen Ausgabendämpfungspfad für die öffentlichen Gesundheitsausgaben" unterzeichnet werden. Damit wird die Basis geschaffen, auf der eine Vereinbarung gemäß Artikel 15a der Bundesverfassung (ein Vertrag zwischen dem Bund und allen Ländern) unter Beteiligung der Sozialversicherung erarbeitet werden kann. Diese soll im Oktober fertig sein. Mit 1. Jänner 2013 sollen das gemeinsame Zielsteuerungssystem und die Ausgabenobergrenzen in Kraft treten.

Ziel der Reform ist es, eine gemeinsame Planung und Steuerung und auch eine gemeinsame Finanzverantwortung von Bund, Ländern und Sozialversicherung zu schaffen. Derzeit finanzieren die Krankenkassen den niedergelassenen Bereich, die Länder finanzieren die Spitäler. Allerdings zahlen die Kassen auch hier in fast allen Bundesländern 50 Prozent.
Ausgabensteigerung auf BIP-Wachstum beschränkt
Diese gemeinsame Finanzierung von Spitälern und Ärzten ist ein zentraler Punkt der Reform. Denn derzeit ist es häufig so, dass Patienten von A nach B geschickt werden, schlicht um die Kosten auf eine andere Institution abzuwälzen. Das soll künftig nicht mehr möglich sein.
Der "Wiener Zeitung" liegt das Papier vor, das Finanzministerin Maria Fekter, Gesundheitsminister Alois Stöger, Landeshauptmann Josef Pühringer, Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely, Hauptverbands-Präsident Hans-Jörg Schelling und die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkassen Ingrid Reischl am Mittwoch unterzeichnen werden.
Bund, Sozialversicherung und Länder legen gemeinsam ein sektorenübergreifendes (intra- und extramuraler Bereich) Zielsteuerungssystem vor, das Versorgungs- und Finanzziele beinhaltet. Die öffentlichen Gesundheitsausgaben dürfen künftig nicht stärker als das BIP wachsen. Das bedeutet, dass für 2012 Ausgaben von 21,873Milliarden festgelegt wurden.
Länder erhalten ein virtuelles Budget
Die Länder erhalten ein virtuelles Budget, das sich Sozialversicherung und Land aufteilen müssen. Es bleibt also eine Entscheidung der beiden Partner auf Länderebene, ob sie Ambulanzen abbauen und dafür den niedergelassenen Bereich stärken oder eben umgekehrt. Wichtig ist dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger, dass hier gut abgestimmt wird. Einen Ausbau der Ambulanzen bei gleichzeitiger Erhöhung der Gruppenpraxen oder der Verlängerung der Ärztepraxen-Öffnungszeiten wird es nicht geben.
"Es ist ein Kompromiss und nicht die beste Lösung", analysiert Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für höhere Studien das vorliegende Papier für die "Wiener Zeitung". Aber immerhin gebe es eine vertragliche Verpflichtung zu Ausgabenobergrenzen. Als positiv bewertete der Gesundheitsexperte die Anerkennung der Sozialversicherung als Partner im System. Wesentlich sei auch, dass bundeseinheitliche Qualitätsstandards festgeschrieben werden. Sehr wichtig sei auch, dass das Budget über einen Zeitraum mehrerer Jahre verplant werden könne, dass also Maßnahmen gesetzt werden können, die zu Beginn mehr Mittel erfordern, aber dann zu Einspareffekten führen.
Für eine wesentliche Verbesserung hält Czypionka die Festlegung von Gesundheits- und Versorgungszielen für die Bevölkerung. Denn Österreich gebe zwar sehr viel Geld für sein Gesundheitssystem aus, aber die Versorgung stimme nicht immer. Die Erreichung der Versorgungsziele soll evaluiert werden und dient auch als Grundlage für Sanktionsmechanismus. Dieser ist in dem Absichtspapier aber eher schwammig formuliert.
Verantwortlichkeiten nicht geklärt
So kritisiert Czypionka etwa, dass die Verantwortlichkeiten nicht geklärt sind: "Wenn die Versorgungsziele nicht erreicht werden, wer ist dann wem gegenüber Rechenschaf schuldig?" Auch finanztechnisch sei noch nicht alles geklärt. Ein Beispiel: Wien überschreitet das Budget. Die Wiener Gebietskrankenkasse redet sich heraus und sagt: Die Stadt hat die Abschlüsse mit den Spitalsärzten zu hoch ausfallen lassen. Die Stadt wiederum wirft der WGKK vor, dass die Medikamentenkosten zu hoch sind. Darauf sagt die WGKK, dies sei möglicherweise richtig, aber die Medikamentenpreise verhandelt der Hauptverband. "So könnte sich jeder auf jeden ausreden. Diese Verantwortlichkeiten sind noch nicht geklärt", sagt Czypionka.
Wer entscheidet darüber, dass eine bestimmte Spitalsküche unrentabel ist und geschlossen werden muss? Es könnte sein, dass die Sozialversicherung bei den Tarifabschlüssen der Spitalsärzte mitreden kann oder auch dabei wo und ob ein Spital gebaut oder geschlossen wird. Die Sozialversicherung habe zwar Mitverantwortung beim Budget, aber ob sie auch an den Stellschrauben mitdrehen darf, ist für Czypionka noch eine völlig offene Frage. Es gebe zwei - Sozialversicherung und Land -, die Budgetverantwortung haben, aber die politische Verantwortung sei ungeklärt.
Fix ist aber, dass die Budgetobergrenzen gelten, wenn die Verantwortlichen am Mittwoch das Papier unterzeichnen. Als Basisjahr gilt 2011, wobei die öffentlichen Ausgaben ohne Langzeitpflege und ohne Investitionen von 2010 plus 3,3 Prozent Ausgabenzuwachs angenommen wurden: 20,931 Milliarden Euro. Die jährliche Steigerung soll bis 2016 auf die durchschnittliche Steigerung des BIP (2012 bis 2020) von 3,6 Prozent gesenkt werden und danach bei 3,6 Prozent konstant bleiben.