Zum Hauptinhalt springen

Gesunde Mischung der Systeme

Von Elisabeth Horvath

Politik

Im Unterschied zu Österreich ist das 3-Säulen-Modell in der Schweiz und den skandinavischen Ländern bereits viel ausgeprägter. Die älteste Basisrente findet sich aber beileibe nicht im hohen Norden Europas. Es ist vielmehr die Schweiz, die 1948 eine Grundversorgung nach dem Umlageverfahren für die gesamte Wohnbürgerschaft eingeführt hat. Ab dem 18. Lebensjahr ist automatisch jeder versichert, wiewohl in diese Säule nur die einzahlen, die verdienen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Allerdings: Mindestens ein geleistetes Beitragsjahr ist zum Bezug einer ordentlichen Rente dennoch erforderlich. Es gibt keine Oberbeitragsgrenze, Arbeitnehmer und Arbeitgeber entrichten zusammen 4,9 Prozent des Lohnes, Selbständige 9,2 Prozent ihres Einkommens (auch von Mieten oder Zinsen) - mit sinkender Skala bis auf 4,2 Prozent für niedrige Jahreseinkommen. Dadurch, dass es keine Höchstbeitragsgrenze gibt, ist diese Säule höchst umverteilungswirksam. Immerhin ist die Differenz zwischen Mindest- und Höchstpension bloss 1:2, also 8.000 zu 16.000 Schilling. Die Beitragszahlung ist obligatorisch. Die Kantone und zahlreiche Gemeinden gewähren überdies Alters- und Hinterlassenbeihilfen nach Bedarf.

Seit 1972 in der Verfassung

1972 wurde ein Dreisäulenmodell in der Verfassung der Schweiz verankert. Die zweite Säule besteht aus einer beruflichen Vorsorge, die obligatorisch ist. Allerdings gilt diese Vorsorgepflicht nicht für sehr niedrige und sehr hohe Einkommen (unter 200.000 und über 600.000 Schilling Jahreslohn), was vor allem für Frauen problematisch ist, da sie im Vergleich zu Männern überproportional in Niedriglohn-Jobs werken. Deshalb beziehen viele von ihnen auch keine Zusatzpension aus der zweiten Säule.

Zusammen mit der ersten Säule soll die Rente etwa 60 Prozent des Bruttoaktiveinkommens ausmachen - nach oben plafondiert. Da die Einführungsphase bis 2025 fixiert ist, wird dieses Ziel noch nicht immer erreicht. Und da dieses Modell obligatorisch ist, kommen über 80 Prozent aller Arbeitnehmer zusätzlich in den Genuss der betrieblichen Vorsorge.

Darüberhinaus gibt es in der zweiten Säule noch eine nicht verpflichtende Versicherung über Pensionskassen, beispielsweise wenn das Einkommen auch über der Obergrenze rentenversichert wird. Finanziert wird die Berufs-Säule durch paritätische Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge entlang dem Kapitaldeckungsverfahren. Der Bund gewährt keine Subventionen.

Schwerer Rückschlag

Was das Vertrauen in die betriebliche Vorsorge angeht, so hat die zweite Säule in der Schweiz in den letzten Jahren einen schweren Rückschlag erlitten. Grund dafür ist der Zusammenbruch der insgesamt vier Anlage- und Sammelstiftungen vor vier Jahren, worüber nun die Handelsgerichte Zürich und Genf Klarheit schaffen sollen. Es geht um ein Loch von 1,8 Milliarden Schilling (200 Millionen Schweizer Franken). Betroffen sind 100 Unternehmen mit insgesamt 2000 ArbeitnehmerInnen. Die Stiftungen mussten liquidiert werden. Die Anlagepolitik sei "katastrophal, unsorgfältig und unprofessionell" gewesen (Christoph Degen, Sprecher der Liquidatoren). Ausserdem bestehe Verdacht auf ein Wirtschaftsdelikt.

Die dritte Säule ist die freie Selbstvorsorge in Form von Lebensversicherungen, Aktien, Wertpapieren oder Immobilienbesitz. Im Unterschied zu Österreich ist für diese keine staatliche Förderung vorgesehen.

In den Niederlanden, in Dänemark, Finnland und Schweden ist die Grundstruktur der Pensionsregelungen insoferne ähnlich, als alle diese Länder eine Grundversorgung haben.

Schweden hat ab 1.Jänner 1999 - übrigens als erstes OECD-Land - mit der schrittweisen Implementierung einer umfassenden Rentenreform nach dem Dreisäulenprinzip begonnen. Dabei wird die schon seit der Nachkriegszeit bestandene Volkspension für alle in eine Garantiepension (1. Säule) umgewandelt.

Die Grundkonzeption ist insoferne anders als die der Volkspension, als die beitragsbezogene Pension (2. Säule) und nicht mehr die einheitlich an alle gezahlte Volkspension die Basis bildet. Wer also durch die geleisteten Pensionsbeiträge eine halbwegs gute Rente bezieht, erhält keine zusätzliche Grundpension. Wohl aber jene Schweden und Schwedinnen, die eine privat finanzierte Alterspension beziehen, nicht aber eine beitragsbezogene.

Sukzessive wird das gegenwärtig gemischt steuer- und beitragsfinanzierte Modell in ein "künftig stark beitragsorientiertes System mit einem Element obligatorischer, kapitalgedeckter Zusatzversorgung (Prämienrente)" (Deutsches Bundesarbeitsblatt 3/2000) umgewandelt. Lediglich die Garantierente ist noch vom Staatshaushalt abhängig.

Der Gesamtbeitragssatz zu Schwedens neuer Alterssicherung beträgt 18,5 Prozent, paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu tragen. Davon bilden 16 Prozent den Ausgangswert für die umlagefinanzierte Einkommenspension (2. Säule). Das Ausmass der bezahlten Beiträge wird auf einem individuellen Pensionskonto registriert und Jahr für Jahr an die Lohnentwicklung wertangepasst. Damit ist die Höhe der Pensionen aus der politischen Entscheidungssphäre herausgenommen. Pensionsantrittsalter ist 61 Jahre, für Frau und Mann gleich.

Der Rest des Gesamtbeitragssatzes von 2,5 Prozent gehen als dritte Säule unter dem Titel "Prämienpension" in eine Kapitaldeckung. Man kann wählen, wo das Geld angelegt wird. Angeboten werden private und öffentliche Veranlagungsformen. Eine staatliche Garantie für die veranlagten Gelder gibt es nicht. Die Sparsumme kann nur als Rente bezogen werden, die eingezahlten Beträge fallen nach dem Ableben des Beziehers dem Sparkollektiv zu - eine Art Pflicht-Erlebensversicherung.

Säule zwei und drei sind obligatorisch. Für die Geburtsjahrgänge ab 1954 wird nur mehr das neue Recht gelten.

In den Niederlanden ist das Drei-Säulen-Modell gut entwickelt. Diskutiert werden vor allem Finanzierungsmodelle, wobei es einige Lösungsansätze gibt, in denen gerade die Prinzipien der gemischten Finanzierungs- und Versicherungsformen des heutigen Systems zum Tragen kommen.

Die erste Säule ist die Leistung nach dem Allgemeinen Altersgesetz: Mit Vollendung des 65. Lebensjahres erhält die Gesamtbevölkerung eine Mindestleistung, die AOW. Finanziert wird diese im Umlageverfahren, kürzlich wurde zusätzlich ein Kapitaldeckungsverfahren eingeführt. Seit 1997 gibt es den sogenannten AOW-Fonds, der gegenwärtig noch ein "virtueller" ist, so Wim Franssen, Direktor für Internationale Angelegenheiten der Sociale Verzekeringsbank, Niederlande. Im Jahr 2010 soll dieser Fonds 140 Milliarden Euro enthalten, er besteht aus Staatsobligationen.

Die Berufsbevölkerung baut sich während des Arbeitsleben durch Teilnahme an Betriebspensionsversicherungen die zweite Säule auf. Die Teilnahme ist verpflichtend, die Betriebspension ist kollektivvertraglich geregelt und wird im Kapitaldeckungsverfahren finanziert. Die Altersversorgung wird auf höchstens 70 Prozent des zuletzt bezogenen Einkommens aufgestockt, wenn der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin 40 Jahre Beiträge eingezahlt hat.

Die dritte Säule umfasst die private Vorsorge über Leibrenten, Sparguthaben und Kapitalanlagen. Dafür werden diverse Steuervorteile gewährt.

Die Diskussion in den Niederlanden dreht sich nicht prinzipiell um das System, "der Generationenvertrag und die Solidarität zwischen Reich und Arm bleiben weiterhin bestehen", erläutert Wim Franssen. Worum es geht, ist die künftige Finanzierung.

Da im niederländischen Volksversicherungssystem kein direkter Zusammenhang zwischen Versicherung und Beitragspflicht besteht - Beitragspflicht besteht nämlich nur, wenn ein Einkommen bezogen wird, von dem Beiträge abgezogen werden können - ist es jedenfalls wichtig, die Gruppe der wirtschaftlich aktiven Personen so gross wie möglich zu machen. Die heutige wirtschaftliche Entwicklung des Landes - zum ersten Mal in 25 Jahren gibt es einen Überschuss im Staatshaushalt, die Arbeitslosenzahl liegt unter 200.000, die Anzahl der freien Stellen bei 400.000 - kommt dem entgegen.

Ein ganz anderes Bild zeigt Frankreich. Dort ist die Betriebspension zwar auch verpflichtend, ihre Finanzierung erfolgt aber ausschliesslich durch ein Umlageverfahren. Weshalb sie sich nicht vom herkömmlichen Umlageverfahren der ersten Säule unterscheidet.

In Großbritannien hat seinerzeit Margaret Thatcher ein opting-out-Modell installiert und gleichzeitig die staatlich geregelten Renten reduziert. Wenn jemand seine Alterssicherung privat betreibt, wobei allerdings bestimmte Kriterien wie Fondsbindung etwa erfüllt werden müssen, dann fällt für diesen die Pflichtversicherung.

Diese Privatisierung vermindert die Solidarleistung für Wenigverdienende, da die Wohlhabenderen in diesen Topf nichts einzahlen. Für die Betriebspension muss der privatversicherte Arbeitnehmer dann allerdings mehr einzahlen als für die staatliche Pension notwendig wäre. Tony Blair hat an dieser Grundstruktur nichts verändert, es gibt weiterhin ein Minimum an Volkspension.

Deutschland verfügt über ein ähnliches System wie das österreichische, allerdings mit dem Unterschied, dass Personen, die über einer bestimmten Einkommensgrenze liegen, zwar der Versicherungspflicht, nicht aber der Pflichtversicherung unterliegen. 1999 hat die rot-grüne Regierung allerdings den Beschluss gefasst, arbeitnehmerähnliche Selbständige in die Rentenversicherungspflicht einzubeziehen. Weiters wird keine betriebliche Säule aufgebaut, lediglich 5,9 Prozent vom Pensionsaufkommen kommt daraus. Statt dessen wird die freiwillige, private Versicherung nach dem Kapitaldeckungsverfahren angekurbelt. Diese soll mit Steuererleichterungen und Zulagen gefördert werden, um gleichzeitig das öffentliche Umlageverfahrensystem abzusenken. Bis 2008 wächst diese Förderung dauerhaft auf insgesamt knapp 140 Milliarden Schillling. Zur Entlastung der Rentenkassen sollen auch in den folgenden Jahren die Einnahmen aus der Ökosteuer verwendet werden.

Weder in Spanien noch in Italien gibt es nennenswerte Grundsicherungselemente, beide Systeme sind stark erwerbsorientiert.

Generell ist feststellbar, dass in jenen Systemen, in denen entweder eine (niedrige) Grundsicherung für alle beziehungsweise eine im Vergleich zu Österreich niedrigere erste Säule nach dem Umlageverfahren besteht, sich in der zweiten, betrieblichen Säule ein hoher Anteil der Bevölkerung befindet - teilweise auch deshalb, weil sie vielerorts obligatorisch ist. Dort, wo die Betriebspension allerdings nur durch betriebliche Vereinbarungen eingerichtet ist, ist die Verbreitung der zweiten Säule geringer.

WIFO-Experte Alois Guger hält das Säulenmodell deshalb für "sehr vernünftig", weil da nicht alles auf eine Karte gesetzt wird, sondern beide Modelle - Umlage- und Kapitalverfahren - einander ergänzen. Das Umlageverfahren, erläutert Guger, habe den Sinn, "der arbeitenden Bevölkerung Kaufkraft zu entziehen, damit von Gütern, die diese erarbeitet, etwas für jene bleibt, die nicht mehr arbeiten. Und diese investieren dann, indem sie kaufen. Widrigenfalls bekomme ich eine Nachfragelücke und Arbeitslosigkeit".

Dieses würde allerdings passieren, wenn das Kapitaldeckungsverfahren die Überhand bekäme, weil dann überproportional am internationalen Geldmarkt investiert werden würde. Die Folge wäre, so Guger, "der Verlust von Arbeitsplätzen".

Und noch eines gilt es beim Kapitaldeckungsverfahren mitzubedenken: Die staatliche Kontrolle des entstehenden Rentenversicherungsmarktes verursacht nicht gerade geringe Kosten.