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"Gesundheit ist nichts mehr wert"

Von Petra Tempfer

Politik
Sara Segall lag nach einem Autounfall drei Monate lang im Spital und muss zur Nachbehandlung. Sie spürte, dass das Personal bereits jetzt überlastet ist - und fühlte sich vernachlässigt.
© Pessenlehner

Akutversorgung gefährdet; mehr Fehldiagnosen durch Ärztemangel.


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Wien. "Es ist ein Skandal: Dass die Gesundheit den Politikern nichts mehr wert ist und sie bei uns - den Menschen - sparen", echauffiert sich Hans Peter Konig, der gerade das Wiener Allgemeine Krankenhaus (AKH) betritt. Er spricht damit das Budgetloch der MedUni Wien an, die die AKH-Ärzte bezahlt, und der heuer neun, nächstes Jahr 18 und ab 2013 schon 30 Millionen Euro jährlich fehlen. Wird dieses Loch nicht gestopft, werden Anfang 2012 Ärzte abgebaut, verkündete die Ärztekammer zu Beginn dieser Woche. Streiks drohen.

"Dass der Bund das Geld nicht aufbringen kann, ist absurd", meint Konig. Andernorts würden Unsummen verprasst. "Zum Beispiel bei der Asfinag, die um 30 Millionen Euro die Schallschutzwände behübschen will", sagt der 56-Jährige aufgebracht, während er seinen Befund aus der Jackentasche fischt und vor einer Tafel voller bunter Wegweiser zu den Stationen des AKH innehält. Patienten, Besucher und Ärzte hetzen vorbei - manche zielstrebig, viele offensichtlich desorientiert.

Zu dem Mann gesellt sich eine ältere Dame mit Hut, auf einen Stock gestützt. Auch sie scheint einen bestimmten Wegweiser zu suchen. "Ich muss zur Urologie, meinen Operationstermin an den Nieren absagen", sagt Josefa Hatejka. Bereits jetzt, vor dem angedrohten Ärzteabbau, habe sie auf die Erstuntersuchung wochenlang gewartet. Nun wurde ihr gesagt, dass sie erst nächstes Jahr operiert werden könne. "Ich geh’ jetzt zu den Barmherzigen Brüdern. Auch als ich am Knie operiert wurde, hab’ ich ewig gewartet."

Eine bereits reduzierte Ärzteschaft, die schon jetzt Journaldienste ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Schlafpausen erbringt, ist der Grund - und das bei 33 Prozent mehr Patienten als vor zehn Jahren. Das meint zumindest eine AKH-Ärztin, die anonym bleiben möchte. "Werden weiter Ärzte abgebaut, wird das System zusammenbrechen", sagt sie. Vor allem die Akutversorgung - Notfall, Unfall, Chirurgie, Anästhesie - sei gefährdet. "Stellen Sie sich vor, Sie haben nachts einen Unfall auf dem Gürtel. Es ist aber kein Facharzt da, der Zeit für Sie hat. Dann müssten wir Sie abwimmeln - aber wohin?"

Hausärzte keine Alternative zur Notfallambulanz

Tatsache sei, dass in Wien nur das AKH, das Sozialmedizinische Zentrum Ost und das Wilhelminenspital, die zum Krankenanstaltenverbund gehören, ab 18 Uhr Notfälle behandeln müssen. Also sei die nächste Alternative, Patienten nach Hause zu schicken. Zum Beispiel, weil sie "nur" Kopfweh haben. "Wer aber garantiert, dass nicht doch eine Gehirnblutung dahintersteckt? Das ist unverantwortlich. Durch einen Ärztemangel häufen sich Fehldiagnosen." Zudem seien die Hausärzte, die am Wochenende keine Ordination haben, nicht auf Notfälle ausgerichtet. "Dazu müsste man das gesamte Gesundheitssystem neu strukturieren."

Sara Segall kennt die Angst, dass niemand hilft, die man nach einem Unfall hat. Sie verunglückte mit dem Auto, lag drei Monate lang im Spital und hetzt gerade - an den Wegweisern der Tafel vorbei - zur Physiotherapie im AKH. Von Brüchen merkt man bei der sportlichen jungen Frau nichts mehr - die Zeit im AKH hat allerdings ihre Wunden hinterlassen. "Die Schwestern waren immer gehetzt. Ich fühlte mich vernachlässigt. Wenn sie jetzt womöglich die Arbeit der Ärzte mitmachen müssen, wird es noch schlimmer", sagt sie und verabschiedet sich gleich wieder, um zu ihrem Termin zu entschwinden.

Hektik und die Suche nach der richtigen Abteilung und dem besten Weg dorthin dominieren das AKH. "In welche Richtung sich das AKH bewegen wird, wissen wir nicht", sagt die Ärztin zum Abschied. Falls sich die Versorgung verschlechtert, seien es jedenfalls die Politiker, die die Verantwortung übernehmen müssten. "Vermutlich muss erst etwas Schlimmes passieren, bis sie reagieren. Zum Beispiel ein Patient sterben, der abgewiesen wurde."

Patient Konig hat seinen Weg mittlerweile gefunden. Mitleidig lächelt er all jene an, die noch suchend vor der Tafel verharren. "Fragt nicht die Ärzte nach dem Weg", sagt er in deren Richtung, "sondern die Politiker."