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Stundenlange Wartezeiten, uninformierte Auskünfte, tagelang keine physische Hilfe: Warum funktioniert die Gesundheitsberatung "1450" in Wien nicht so reibungslos, wie sie sollte? Was muss sich ändern? Eine medizinische Fachkraft erzählt.
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Derzeit gehen überall die Wogen hoch. Auch "1450", die österreichweite telefonische Gesundheitsberatung, die in Wien vom Fonds Soziales Wien betrieben wird, steht in der Kritik. Immer mehr Leute geben an, trotz mehrmaligen Anrufens nie einen Rückruf oder einen Hausbesuch erhalten zu haben, und auf ihre dringenden Fragen oft keine hinreichenden Antworten zu bekommen.
Eine medizinische Fachkraft, die für die Gesundheitshotline arbeitet, möchte auf Fehler in der Organisation aufmerksam machen. Die Mehranforderungen an unser Gesundheitssystem durch das Coronavirus stürzen auch in der telefonischen Beratung einiges ins Chaos. Hätte man das verhindern können? Und was bleibt jetzt zu tun?
Stockender Informationsfluss und De-Eskalation
Wer die Gesundheitshotline "1450" wählt, hatte bis vor kurzem vermutlich einfach einen akuten Notfall: Muss meine Verletzung im Krankenhaus behandelt werden? Was tun bei Durchfall? Und wenn ich nachts plötzlich Zahnschmerzen bekomme? Ursprünglich war die telefonische Gesundheitsberatung, die seit November 2019 österreichweit erreichbar ist, als Puffer zwischen Patienten und Hilfsorganisationen gedacht. Diplomierte Krankenschwestern und -pfleger beraten im Rahmen des Projekts Anrufende, die ein medizinisches Problem haben, und leiten diese dann auch gleich an jene Stelle weiter, die am besten helfen kann: Ärztenotdienst, Rettung, Krankenhaus. Dies sollte vor allem Rettungsdienste entlasten.
Aber mit COVID-19 ist alles anders. Österreich ist im Ausnahmezustand, Quarantänemaßnahmen und Ausgangsbeschränkungen dominieren unseren Alltag. Bei Husten und Fieber liegt der Gedanke nahe, man könnte sich irgendwo mit dem Virus angesteckt haben. Ins Krankenhaus oder zum Hausarzt soll man momentan nicht selbständig gehen, bleibt nur ein Anruf – bei der telefonischen Gesundheitsberatung. Diese ist durch den Mehraufwand in der Krise stark überlastet. Auskünfte zum Corona-Virus nehmen derzeit einen großen Teil der Arbeit bei der Gesundheitshotline ein. Dabei fehlen wichtige Informationen zu den Beschlüssen der Bundesregierung.
"Bekommen keine Updates"
"Wir bekommen keine Updates über gesperrte Gebiete, wir wissen nicht, wie viele Leute getestet werden können, und die Falldefinitionen ändern sich fast täglich.", sagt eine Pflegefachkraft, die für die Hotline arbeitet. "Falldefinitionen" sind die offiziellen Richtlinien der Bundesregierung, welche Merkmale ein Corona-Verdachtsfall auf jeden Fall haben muss, um als solcher klassifiziert zu werden. Diese Definition entscheidet darüber, ob Menschen, die Symptome aufweisen, getestet werden oder nicht, ob sie unter Quarantäne gestellt werden oder nicht, ob sie Andere anstecken können oder nicht. Die Definition wird laufend aktualisiert und geändert. Was heute als Verdachtsfall gilt, muss morgen keiner mehr sein. Das Team der Gesundheitshotline muss hier neben medizinischer Beratung vor allem auch beruhigen, de-eskalierende Gespräche führen und zugleich eines kommunizieren: Nichts ist sicher, in unsicheren Corona-Zeiten.
"Arbeiten zu zweit oder zu dritt für ganz Wien"
"Wir arbeiten zu zweit oder zu dritt für ganz Wien", sagt das Mitglied des Pflegepersonals, welche Dringlichkeitseinschätzungen, sogenannte "Triagen", vornehmen. Laut einem Sprecher des Fonds Soziales Wien arbeiten in der Regel täglich etwa 80 Personen gleichzeitig für die Hotline: 58 davon sind Studentinnen und Studenten, welche Stammdaten aufnehmen und allgemeine Informationen ausgeben dürfen. Das "Kernteam" besteht aus rund 22 medizinisch geschulten Pflegekräften, die Notsituationen übers Telefon richtig einschätzen und den Anrufenden bezüglich der nächsten Schritte beraten und unter die Arme greifen müssen. Diese arbeiten in einem Rad in Acht-Stunden-Schichten und an zwei unterschiedlichen Standorten. Drei diplomierte Pflegekräfte pro Standort arbeiten in der Früh, drei Nachmittags, zwei Abends.
Wenn von einer "Aufstockung des Personals" durch Studierende die Rede ist, wird dieses Kernteam zwar in mancher Hinsicht entlastet, die Hauptarbeit, die Einschätzung der Dringlichkeit von Notfällen, kann von medizinisch nicht ausgebildetem Personal jedoch nicht übernommen werden. Zudem muss auch eine diplomierte Pflegekraft speziell geschult werden, bevor sie telefonisch beraten kann.
Einschulungen "eng an eng"
Warum also stellt man nicht mehr Krankenpflegekräfte ein? "Wir hatten zwei neue Pflegekräfte da, aber die haben gesehen, wie die Arbeit abläuft, und sind wieder gegangen", so die medizinische Pflegekraft. Die Arbeit findet gemeinsam in einem kleinen Raum statt, die Arbeitsbedingungen sind ähnlich denen in einem Callcenter. Einschulungen fänden auch immer "eng an eng" statt, wobei man sich dabei manchmal sogar ein Headset teilen müsse. Die Hotline ist auch das ganze Wochenende über erreichbar, die Büroräumlichkeiten und Toiletten würden aber von Freitagabend bis Montag nicht mehr gereinigt. Diese sowieso schon ungünstige Situation wird durch die Gefahr der Ansteckung durch das Corona-Virus um ein Vielfaches verschlimmert. Es sei technisch jedoch derzeit nicht möglich, den Betrieb auf Home Office umzustellen, so der Sprecher des Fonds Soziales Wien.
Aussicht auf Besserung?
Die Wurzel dieser Probleme liegt vielleicht auch in der Dezentralisierung der Organisation. Anders als in Wien wird die Gesundheitsberatung etwa in Niederösterreich, Kärnten und dem Burgenland vom "144 Notruf Niederösterreich" geregelt. Dieser organisiert auch diverse Rettungsdienste, die Vernetzung der Gesundheits-Hotline mit den Hilfsorganisationen ist hier also ohne viel Informationsverlust vorhanden. Laut einem Sprecher des Notrufes Niederösterreich arbeiten etwa achtzig Prozent der Beratenden derzeit im Home Office. Auch hat man hier sehr schnell reagiert und viele Mitarbeiter aufgestockt.
Bereits Ausweichquartier organisiert
Langsame Besserung stellt sich auch in der Gesundheitsberatung in Wien ein. So wurde etwa ein Ausweichquartier organisiert, sodass das Kernteam in Gruppen aufgeteilt werden konnte, und mehr Studenten zur Aufnahme von Stammdaten wurden engagiert. Dennoch arbeitet hier immer noch Pflegepersonal auf engstem Raum zusammen, wo es nicht sein müsste, und die Informationen, die die Bundesregierung ausgibt, finden oft erst im Nachhinein ihren Weg zu den MitarbeiterInnen der Wiener Gesundheitsberatung. In einer Millionenstadt wie Wien sind das Missstände, die auch eine Krisensituation nicht rechtfertigt. Es muss noch viel getan werden.