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Gesundheitspolitik zwischen den Fronten

Von Klaus Huhold

Politik

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie sehr politische Machtverhältnisse das Handeln der WHO bestimmen. Auch die am Montag beginnende Weltgesundheitsversammlung, bei der Reformideen diskutiert werden, wird davon geprägt sein.


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Eine Zahl von 312 Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden war für Österreich in den vergangenen Monaten außer Reichweite gewesen, im hohen dreistelligen Bereich liegt man hier erst seit ein paar Tagen wieder. In Taiwan lassen die 312 Neuansteckungen, die das Land am Freitag registriert hat, dagegen bereits die Alarmglocken schrillen.

Schon in den vergangenen Tagen waren in dem 24 Millionen Einwohner zählenden Land die Maßnahmen deutlich verschärft worden, weil es immer mehr Kranke gibt: Selbst im Freien herrscht wieder Maskenpflicht und Kinos und andere Vergnügungsstätten mussten vorerst zusperren. Ein kompletter Lockdown sei aber nicht notwendig, beruhigte vorerst Gesundheitsminister Chen Shi-chung.

Wochenlang hatte Taiwan so gut wie keine Corona-Fälle, und im Alltag war fast schon eine Normalität wie vor der Pandemie zurückgekehrt. Der Insel-Staat, der schon bei Ausbruch der Pandemie einen Notfallplan aktivierte und bis heute ein äußerst konsequentes Contact-Tracing betreibt, gilt als Musterbeispiel bei der Corona-Bekämpfung.

Allerdings kann Taiwan seine Erkenntnisse und Informationen nur beschränkt mit der internationalen Gemeinschaft teilen. Vor allem dort, wo das Wissen im Kampf gegen Corona gebündelt wird, steht Taiwan vor der Tür: bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Denn China sieht das de facto unabhängige, demokratische Taiwan als abtrünnige Provinz und blockiert dessen Teilnahme an WHO-Sitzungen.

Vorwurf, gegenüber China zu freundlich zu sein

Bei der diesjährigen Weltgesundheitsversammlung (WHA), die am Montag beginnt und bei der die 194 WHO-Mitgliedstaaten ihre wichtigsten Beschlüsse für die Zukunft fällt, wird Taiwan voraussichtlich nicht einmal Beobachterstatus haben. Auch wenn die USA und viele andere westliche Staaten heftig dagegen protestiert haben, kann China genügend Länder für seine Taiwan-Blockade mobilisieren.

Das Beispiel Taiwan zeigt anschaulich, dass sich die WHO nicht nur - wie es ihre Verfassung vorsieht - um Gesundheitsagenden kümmern kann, sondern dass bei ihr immer wieder auch die Geopolitik anklopft. Dabei steht die Organisation immer wieder zwischen den Fronten.

So wird die WHO in der US-Öffentlichkeit, sowohl von Politikern als auch von Medien, immer wieder dafür kritisiert, dass sie China zu sehr mit Samthandschuhen anfasse. Weil sie den Beschwichtigungen Pekings zu sehr geglaubt habe, habe sie bei Ausbruch der Krise viel Zeit verloren. Und bis heute würde die UN-Organisation China zu sehr entgegenkommen, weshalb immer noch viele Fragen zum Ursprung des Virus unbeantwortet seien, lauten etwa die Vorwürfe. Verteidiger der WHO meinen aber, dass deren äthiopischer Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bei allzu scharfen Angriffen gegen China riskieren würde, dass Peking seine Kooperation einschränkt - und die WHO ist auf diese angewiesen.

Ganz generell gilt, dass die WHO "nur einen begrenzten Spielraum hat, da sie in vielerlei Abhängigkeitsverhältnissen steht", sagt der Politologe Christian Kreuder-Sonnen von der Universität Jena, der zu internationalen Organisationen forscht. Das fängt schon bei der Finanzierung an: 80 Prozent des WHO-Budgets besteht aus freiwilligen Zuwendungen von Staaten oder auch privater Organisationen - und dieses Geld ist oft zweckgebunden.

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Zudem verweist Kreuder-Sonnen darauf, dass die WHO zwar Empfehlungen aussprechen und Richtlinien erlassen kann, aber darauf angewiesen ist, dass die Staaten diese auch ernst nehmen. Wenn also Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro Corona kleinredet und demonstrativ ohne Maske ein Bad in der Menge nimmt, kann die WHO nur zuschauen.

Wie vergeblich die Warnungen der WHO sein können, zeigt sich auch beim Thema Impfen: Immer wieder hat sie dazu aufgerufen, den Corona-Impfstoff gleichmäßiger über den Globus zu verteilen. Hierbei geht es nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch darum, dass eine globale Krise nur global besiegt auch werden kann. Das beweisen die ständigen Mutationen, die schnell von einem Land zum nächsten springen. Doch die Industrienationen impfen zunächst ihre eigene Bevölkerung durch, während die Entwicklungsländer bis jetzt fast leer ausgegangen sind.

Aber immerhin hat die WHO mit Covax eine Initiative gestartet, über die zumindest ein wenig Impfstoff bereits an ärmere Staaten verteilt wurde. Die Industrienationen seien in dieser Krise sehr auf sich selbst fokussiert, sagt Kreuder-Sonnen. "Das noch einmal aufzubrechen und darauf hinzuweisen, dass es auch noch andere gibt, ist ein großer Verdienst der WHO." Am Freitag haben die Pharmakonzerne Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson sogar 3,5 Milliarden Impfstoffdosen für arme Länder zum Sonder- oder Selbstkostenpreis für dieses und nächstes Jahr versprochen. Das ist nicht nur der WHO zu verdanken, aber auch ihr Erfolg.

Nun wird gar ein Weltgesundheitsrat überlegt

Wie generell Pandemien in Zukunft besser bekämpft werden können, wird auch Thema beim Weltgesundheitsrat sein. An Reformideen mangelt es nicht: So wird überlegt, dass die WHO künftig Beobachtermissionen in einzelne Staaten entsenden kann, um die Einhaltung von Maßnahmen zu überprüfen. Selbst die Schaffung eines Weltgesundheitsrates, der verbindliche Richtlinien festlegen kann, wird angedacht. Allerdings werden sich die einzelnen Staaten nicht viel von ihrer Souveränität nehmen lassen wollen. Der Gestaltungsspielraum der WHO wird also begrenzt bleiben. Es wird aber an ihr liegen, wie sie diesen nutzt.

Innerhalb dieses Spielraums gibt es nämlich verschiedene Optionen, sagt Kreuder-Sonnen und verweist auf die Sars-Krise 2003. Damals kümmerte sich die WHO noch wenig um diplomatische Gepflogenheiten und verhielt sich China gegenüber sehr konfrontativ, um den Kampf gegen diese Epidemie voranzutreiben. Tatsächlich war die Pandemie nach einem halben Jahr fast völlig eingedämmt. Ein Vergleich mit Corona ist aber nur schwer möglich, weil das Virus ein anderes war.

Klar ist aber: Die WHO ist anders aufgetreten und wurde anders bewertet. "Sie wurde als globaler Akteur wahrgenommen, der, obwohl er formal damals gar nicht dazu berechtigt war, tatkräftig eingesprungen ist." Allerdings, räumt auch der Forscher ein, war China damals noch nicht so ein mächtiger Akteur wie heute.