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Darüber, was derzeit mit der von den Sozialpartnern ausverhandelten und von den Ministern Buchinger und Kdolsky präsentierten Gesundheitsreform passiert, gibt es zumindest zwei entgegengesetzte Erklärungshypothesen. Die einen sind fassungslos ob der Demontage durch renitente Gewerkschafter bei SPÖ und ÖVP, Ärztekammer und einigen Gebietskrankenkassen. Anhänger dieser Interpretation sprechen von einem Desaster für die beteiligten Minister, ja die Regierung insgesamt und sehen die Reform praktisch gescheitert - egal, was am Ende der Begutachtungsphase herauskommen wird. | Vertreter dieser - zugegeben grobschlächtigen - Sicht der Dinge finden sich besonders häufig in der kommentierenden Zunft wieder - vielleicht, weil die Sache mit den Differenzierungen stets sehr kompliziert und für einen pointierten Leitartikel jedenfalls zu umständlich ist.
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Den Schwarz-Sehern steht die - mengenmäßig wesentlich kleinere - Gruppe der Strategie-Sucher gegenüber: Diese können nicht - beziehungsweise weigern sich zu - glauben, dass eine Regierung, die etwas auf sich hält, bei dem Kernstück ihrer politischen Legitimation, der Gesundheitsreform, so fahrlässig und dilettantisch ans Werk geht. Zwar würden auch diese Suchenden nicht für die Rationalität jeden Regierungsbeschlusses ihre Hand ins Feuer legen, aber wenn es um so etwas Wesentliches gehe, dann stecke doch bestimmt eine ausgefuchste Strategie dahinter .. .
Nicht einmal die Frage, worin diese Strategie im Fall der aktuellen Debatte denn besteht, bringt die Anhänger dieser These in Verlegenheit: Der Sozialpartner-Entwurf diene nämlich nur als Ventil, durch das die vereinigten Interessensvertreter zunächst ordentlich Dampf ablassen könnten. Und ist dieser erst einmal verpufft, die Öffentlichkeit des Kleinkriegs müde, schreitet die Regierung entschlossen zur Tat und zieht ihr Ding durch. Klingt gut, oder?
Fragt sich nur, ob diese Hypothese auch der Wirklichkeit standhält. Gesichert scheint, dass weder Kdolsky noch Buchinger über das politische Gewicht verfügen, sich gegen die sich nun formierenden Abwehrreihen von Gewerkschaftern, Kassen, Ländern und Ärzten durchzusetzen. Soll die Reform, die sogar nach den Worten Kdolskys allenfalls ein Mosaiksteinchen darstellt, weitgehend unverändert den Begutachtungsprozess überleben, ist die Regierungsspitze gefordert.
Die hat vor Monaten zwar die Gesundheitsreform zur Chefsache erklärt, das Nachdenken aber den Sozialpartnern überlassen. Diese Strategie hat zuletzt nicht so schlecht funktioniert. Diesmal jedoch könnten sich die Sozialpartner selbst verkalkuliert haben. Und damit dürfte nicht einmal die Regierung gerechnet haben.
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