Nach Elga und Gesundheitsreform ist "Ärzteausbildung neu" das nächste Projekt.
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"Wiener Zeitung": Herr Wechselberger, Sie sind seit etwa einem halben Jahr Präsident der Österreichischen Ärztekammer. In dieser Zeit wurde die von den Ärzten heftig kritisierte Elektronische Gesundheitsakte Elga beschlossen, am Dienstag hat die Gesundheitsreform den Ministerrat passiert: Zwei Niederlagen in kurzer Zeit?Artur Wechselberger: Nein, ganz und gar nicht: zwei Siege. Man muss immer die Ausgangssituation betrachten. Bei Elga war es so, dass wir aus dem fachlichen Gestaltungsprozess ausgeschlossen waren. Im Juli vergangenen Jahres ist es uns gelungen, unsere Erfahrungen in drei Arbeitsgruppen einzubringen. Dass unsere Verbesserungsvorschläge zumindest zum Teil in das Gesetz eingeflossen sind, würde ich als Fortschritt bewerten. Vor allem auch deshalb, weil man ja jetzt bei der Umsetzung auf die Arbeit dieser Arbeitsgruppen aufbauen kann. Genauso wie mit Elga ist es uns mit der Gesundheitsreform ergangen. Hier haben wir erreicht, dass die Stärkung des niedergelassenen Bereiches als Reformziel dazugenommen wurde. Wir mussten plakative Maßnahmen setzen, damit wir überhaupt gehört wurden.
Diese Maßnahmen - Proteste und Kampagnen: Warum haben Sie diese gesetzt? Elga und Gesundheitsreform wurden von der Politik beschlossen, für die sich der Wähler durch seine Stimme entschieden hat. Geht es Ihnen also rein um die Interessen der Ärzteschaft - und nicht um jene des Patienten?
Es geht hier um Vermengungen von Interessen. Absolutes Interesse der Ärzteschaft bei der Gesundheitsreform ist, dafür zu sorgen, dass sie Mitsprache bei der Ausbildung von Ärzten und in der Qualitätssicherung hat. Und dass sie die Vertragsfreiheit in Fragen der Stellenplanung und Honorargestaltung beibehält. Das Zweite ist das indirekt Betroffensein durch die Rahmenbedingungen, die die Gesundheitspolitik vorgibt: Wenn sie Ärzte zu Rationierungen unmittelbar am Patienten zwingt, sind das Vorgaben, die die Ärzteschaft in schwere Dilemmata führt. Dann nämlich kann der Arzt seinen Beruf nicht so ausüben, wie er es sollte.
Das wissend weiß er auch, dass dem Patienten damit Leistungen vorenthalten werden, die ihm eigentlich zustünden. Deshalb haben wir versucht, die Bevölkerung zu informieren. Denn wer, wenn nicht der Arzt, kennt die Bedürfnisse der Patienten - und es ist auch seine Pflicht, auf Missstände hinzuweisen.
Ihr Hauptkritikpunkt zu Elga?
Wir glauben, die Opt-out-Lösung ist der falsche Zugang. In der Demokratie unserer Zeit dürfen nicht hundert Prozent der Bevölkerung zu zwangsverpflichteten Mitgliedern gemacht werden. Außerdem ist es eine Frage der Finanzierung. Wir gehen davon aus, dass es Aufgabe des Staates ist, Investitionen und Folgekosten für Elga zu tragen. Bisher heißt es aber nur, dass etwa zehn Millionen Euro dafür bereitgestellt sind. Wir haben jedoch erhoben, dass die Kosten für die Neuausrichtung der Hard- und Software in den Arztpraxen bei 30 Millionen Euro liegen werden. Uns geht es vor allem darum: Wenn Elga schon kommt, soll sie funktionieren. Sie soll nicht Wartezeiten verlängern, Arbeitszeiten von niedergelassenen Ärzten blockieren oder Datenlecks mit sich bringen.
Zieht bei den Protesten die gesamte Ärzteschaft an einem Strang? Es kursieren Gerüchte, dass diese gespalten ist - und auch Rücktrittsaufforderungen gegen Ihre Person stehen im Raum, weil Sie eine weniger harte Linie als andere vertreten sollen.
Wir haben demokratische Diskussionen geführt, wie sie in einer demokratischen Einrichtung geführt werden sollen. In jeder Diskussion gibt es Stimmen, die etwas mehr oder etwas weniger erreichen wollen. Letztendlich ist entscheidend, dass man zu einem Ergebnis kommt und alle dazu stehen. Welche Schritte - wie zum Beispiel Protestaktionen gegen die Gesundheitsreform - die einzelnen Bundesländer-Vertreter setzen, haben diese autonom zu entscheiden. Die Situation in den Bundesländern ist ja sehr unterschiedlich.
Gesundheitsreform und Elga sind also auf Schiene - seit mehr als zehn Jahren ist indes die "Ärzteausbildung neu" in der Warteschleife. Wann werden Sie dieses Projekt in Angriff nehmen?
Das ist eine unserer wichtigsten Zukunftsaufgaben. Man braucht gar nicht über die künftige Gesundheitsversorgung zu sprechen, wenn man nicht von der Ausbildung her Maßnahmen setzt. Das größte Stiefkind ist sicher die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin. Wir sind eines der wenigen Länder der Welt, in dem man Allgemeinmediziner werden kann, ohne einen Tag in einer Praxis verbracht zu haben. Aber auch im Facharztbereich bildet man noch immer aus wie vor 20, 30 Jahren, obwohl sich die Wissenschaft weiterentwickelt hat. Die Ärztekammer hätte schon vor sieben Jahren ein Ausbildungsmodell zum Allgemeinmediziner entwickelt - umgesetzt ist es bis heute nicht.
Wer verhindert das?
Turnusärzte werden häufig als billige Systemerhalter gesehen. Darum wird die "Ärzteausbildung neu" seit Jahren verschleppt: Weil die Politik keine Mittel dafür aufwenden will. Aber die Ausbildung bei Turnusärzten sollte an erster Stelle stehen - sonst gehen sie nach Deutschland, wo sie exzellente Ausbildungsplätze vorfinden und zudem wertgeschätzt werden. Wenn man diese Gesundheitsreform ernst nimmt und nicht zur Finanzreform verkommen lässt, dann muss man diese Ausbildungsreformen umsetzen und dafür Mittel in die Hand nehmen. Sonst hat man nicht die Ärzte in der Form und Menge, die man brauchen wird, um eine gute Versorgung zu gewährleisten.
Zur Person
Artur Wechselberger
Der heute 60-Jährige wurde in Hall in Tirol geboren. Nach seiner Ausbildung zum Allgemeinmediziner eröffnete er 1989 eine Ordination in Innsbruck, die er heute noch führt. Seit 1990 ist Wechselberger Präsident der Ärztekammer für Tirol. Von 2007 bis 2012 war er Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, seit seiner Wahl am 22. Juni 2012 steht er dieser als Präsident vor.