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Auch im Gesundheitswesen ertönt der Ruf "weniger Staat, mehr Privat". | Die Auswirkungen wären bei konsequenter Umsetzung katastrophal. | Wien. Rund 50 Millionen US-Amerikaner sind nicht krankenversichert. Noch mehr sind unterversichert, was hohe Zuzahlungen an Ärzte und für Medikamente bedeutet, die sich die Betroffenen oft nicht einmal dann leisten können, wenn sie gut verdienen und dem Mittelstand angehören. Arzthonorare, Operationen und Krankenhausrechnungen, die von privaten Versicherungen nicht akzeptiert werden, treiben Betroffene nicht selten in den Ruin, wie Michael Moores neuer Film "Sicko" drastisch zeigt.
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Gleichzeitig geben die USA mehr für die Gesundheit aus als alle anderen westlichen Industrienationen. Im Jahr 2004 waren dies 15,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Österreich dagegen unter zehn Prozent. Wie kommt das? - Das US-Gesundheitssystem ist eines der ineffizientesten der Welt, an seiner Veränderung - übrigens damals am Beispiel Österreich - biss sich indessen schon die seinerzeitige Präsidentengattin Hillary Clinton die Zähne aus, die dies auf ihrer Prioritätenliste ganz oben führte. Fazit bis heute: Während die USA Spitzenleistungen in der medizinischen Forschung erbringen, ist es um die tatsächliche Gesundheitsversorgung der US-Bürger schlecht bestellt, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass ihre Lebenserwartung zwei Jahre unter jener der Österreicher liegt.
Mangelnder Schutz
Die Misere hat viele Gründe, angefangen bei der nicht existierenden Pflichtversicherung und den mangelnden Preiskontrollen bei Medikamenten. In der Regel sind Beschäftigte über ihre Firmen versichert und verlieren diesen Schutz, wenn sie in Pension gehen und über zu wenig Rücklagen verfügen bzw. sobald die Firmen schließen oder den Sitz in andere Länder verlegen. Weiters sind private Versicherungen kaum erschwinglich - ihre Prämien gehören zu den höchsten der Welt - und verfügen über raffinierte Klauseln, die es ihnen ermöglichen, aus allen (un-)denkbaren Gründen willkürlich Leistungen zu verweigern.
Indessen platzen die Notaufnahmen vieler US-Spitäler aus allen Nähten, weil dies für die sozial Schwachen häufig die einzige Möglichkeit ärztlicher Versorgung darstellt (vorausgesetzt, das Aufnahmepersonal drückt ein Auge zu). Für diese Fälle steuern Regierung, Bundesstaaten und manche Gemeinden sowie Ärzte an Gratisleistungen rund 45 Milliarden Dollar pro Jahr bei. Allerdings: Gerade die Behandlung durch Notärzte ist besonders kostspielig, und weder werden eine Vorsorgeuntersuchung noch eine Nachbehandlung angeboten, so dass die Betroffenen letztlich doch wieder mit ihren Leiden im Regen stehen.
Vergleich macht sicher
Michael Moore fordert daher eine Verstaatlichung des US-Gesundheitswesens, während sich bei uns die Plädoyers für individuelle Privatversicherungen häufen. Keine Frage, dass auch das österreichische Gesundheitssystem ein Verbesserungspotenzial aufweist, zu bedenken ist dennoch: 98 Prozent der Österreicher genießen auf Grund der gesetzlichen Pflichtversicherung den umfassenden Schutz des gesamten Leistungsspektrums von Arztbesuch, Spitalsaufenthalt, aufwändigen Behandlungen und Operationen, Medikamenten bis zu Rehabilitationsmaßnahmen, unabhängig von Einkommen, Beitragszahlungen, Geschlecht, Alter, (chronischen) Vorerkrankungen - und meist sind nahe Familienmitglieder (Ehefrau, Kinder) kostenlos mitversichert.
Viele dieser Leistungen entfallen bei Privatversicherungen gänzlich oder zum Teil. Versicherungswillige können auf Grund von Krankheiten, Alter oder anderen Risiken abgelehnt werden oder müssen höhere Prämien zahlen, was für Frauen übrigens infolge ihrer Lebenserwartung und des "Gesundheitsrisikos" durch Schwangerschaft und Geburt per se gilt. - Die Unterschiede sind leicht erklärbar: Private Versicherungsunternehmen arbeiten gewinnorientiert.
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