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Gesundheitsvorsorge reicht nicht

Von Brigitte Pilz

Wissen

Wien - Beim G-8-Gipfel in Genua wurde unter anderem die Einrichtung eines Gesundheitsfonds zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, insbesondere von HIV/Aids, beschlossen. Neueste Untersuchungen zeigen, dass Frauen einer HIV-Infektion stärker ausgesetzt sind als Männer. Konkrete Aids-Programme werden dies berücksichtigen müssen.


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Laut Schätzungen von UNAIDS, des Aids-Programmes der Vereinten Nationen, sind weltweit 34,7 Millionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert. In Südostasien (Indien, Kambodscha, Thailand) werden dramatische Neuinfektionen festgestellt. Hauptbetroffen sind aber nach wie vor die Länder im südlichen Afrika. Die Anzahl von Frauen unter den Infizierten entspricht in etwa ihrem Bevölkerungsanteil. Die Zuwachsraten weisen jedoch darauf hin, dass die Infektionsgefahr für Frauen besonders hoch ist. Im südlichen Afrika sind bereits 55% aller Infizierten weiblich. Mädchen haben dort eine fünf- bis sechsfach höhere Ansteckungsrate als junge Männer. Fachleute sprechen von einer "Feminisierung der Epidemie". Warum kam es zu dieser Entwicklung zulasten der Frauen? Sie hat soziale, wirtschaftliche und biologische Gründe.

Beispiel südliches Afrika

Für Afrika wird die Übertragung des Virus über heterosexuellen Geschlechtsverkehr auf 90% geschätzt. Männer haben eine weit größere Anzahl an Sexualkontakten als Frauen. Das Erbe der Polygamie erlaubt den Männern größere Freiheiten. Wanderarbeit, Flucht, Prostitution sind andere Faktoren. Für Frauen gelten weit strengere Moralbegriffe. Gleichzeitig fehlt ihnen die Macht, von ihrem Partner "sicheren Sex" zu verlangen. Wenn eine Frau die Verwendung von Kondomen einfordert, riskiert sie körperliche Gewalt, Trennung oder Ächtung durch die Gesellschaft. Armut verschärft diese Probleme beträchtlich, weil Frauen meist auch für die Kinder und pflegebedürftige Familienmitglieder verantwortlich sind. Die Machtlosigkeit der Frauen ist also ein Grund ihrer Gefährdung. Inzest ist zwar ein Tabu, gleichzeitig ist er traurige Realität. In einer einzigen Klinik in Harare, Simbabwe, wurden monatlich 94 missbrauchte Kinder registriert, ein großer Prozentsatz davon war HIV-infiziert.

Die gesamte Thema der Sexualität wird in vielen Gesellschaften mit einem Tabu belegt. Mädchen nicht aufzuklären soll ihre Jungfräulichkeit schützen. Und das Schweigen verhindert, dass Frauen Informationen über ihre reproduktive und sexuelle Gesundheit suchen. In der Folge sind Frauen häufig überhaupt nicht über die Gefahren der Infektion und die Möglichkeiten sich zu schützen informiert. Hier spielt mangelnde Bildung - auch bezüglich Schulbesuch sind Mädchen und Frauen benachteiligt - eine Rolle. Aus Studien zeigt sich deutlich ein signifikanter Zusammenhang zwischen Bildung, Zeitpunkt der ersten Schwangerschaft und dem Grad der Aufklärung über HIV/Aids. Frauen sind weiters diejenigen, die als letzte in der Familie einen Arzt aufsuchen. In vielen Ländern steigt die Armut, Einsparungen im Sozialbereich nehmen zu und für viele Familien wird die Gesundheitsvorsorge unerschwinglich.

Hinzu kommt die biologische Komponente: Frauen sind durch eine HIV-Infektion viermal mehr gefährdet als Männer: Der Samen des Mannes hat eine höhere Virendichte als die Scheidenflüssigkeit der Frau. Auch die größere Oberfläche der Schleimhäute spielt eine Rolle. Die Scheidenwand von jungen Frauen ist besonders verletzungsgefährdet. Auch Genialverstümmelung im Zuge der Beschneidung von Mädchen kann die Infektion erleichtern. Unbehandelte Geschlechtskrankheiten, an denen viele Frauen leiden, lassen den Virus leichter durch die Haut eindringen.

Aids-Programme für Frauen

Eines wird aus solchen Analysen deutlich: Nur Programme, die eine geschlechterspezifische Sichtweise des Problems berücksichtigen, werden erfolgreich sein. So wichtig erschwingliche Medikamente und Vorsorgeeinrichtungen sind, Strategien, die allein auf den Gesundheitsbereich abzielen, werden die Epidemie nicht stoppen können. Es muss in jeder Gesellschaft den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gründen nachgegangen werden, warum sich die Krankheit ausbreitet. Männer und Frauen sind anzusprechen. Männer sollten ermutigt werden, eine aktive und positive Rolle in der HIV-Prävention einzunehmen. Aids-Programme müssen auf eine Änderung der Machtverhältnisse zielen. Sie sind nicht nur als Opfer anzusprechen, sondern als verantwortliche Akteurinnen.