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Gesundheitsziele

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Eine zielorientierte Politik im Gesundheitswesen wäre wünschenswert - und wird es auch bleiben, da sich keiner an unerreichten Zielen stößt.


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Es ist simpel. Wer etwas erreichen will, der setzt sich Ziele. Menschen, die ziellos herumirren und trotzdem Vollgas geben - die Wilden auf ihren Maschinen -, sind gesellschaftlich nicht gerade anerkannt.

Ziele haben den (un)angenehmen Effekt, dass man sowohl Effektivität (also den Grad der Zielerreichung) als auch Effizienz (wie viel hat es gekostet, das Ziel zu erreichen) messen kann. Im Gesundheitswesen gibt es seit längerem Gesundheitsziele. Sie sind ein international verbreitetes Instrument, um Gesundheitspolitik zielgenauer und überprüfbarer zu machen. Aber genau das dürfte - oberflächlich betrachtet - in Österreich politisch nicht gewünscht sein

1989 hat Österreich mit fast allen anderen WHO-Mitgliedstaaten folgende Ziele für Diabetiker vereinbart und "versprochen", sie bis 1994 zu erreichen: (1) Verminderung neuer diabetesbedingter Erblindungen um ein Drittel oder mehr. (2) Verringerung neu auftretenden terminalen Nierenversagens wegen Diabetes um mindestens ein Drittel. (3) Senkung der Zahl von Amputationen aufgrund diabetesbedingter Gangrän um mindestens die Hälfte. (4) Verminderung der Morbidität und Mortalität bei koronarer Herzerkrankung von Diabetikern mittels intensiver Programme zur Verringerung der Risikofaktoren.

(5) Normaler Schwangerschaftsverlauf bei Frauen mit Diabetes.

Das klingt doch ganz gut. Umso erstaunlicher ist, dass man hierzulande Anfang des 21. Jahrhunderts folgende Zielformulierung findet: Bis zum Jahr 2010 sollte die Häufigkeit von Diabetesfolgen, wie Amputationen, Blindheit, Nierenversagen, Schwangerschaftskomplikationen und andere Gesundheitsstörungen, um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 reduziert werden.

Einmal abgesehen davon, dass die "neuen" Ziele weit unter denen liegen, die bereits vereinbart waren, ist es erstaunlich, dass sich niemand daran stößt, dass fixierte Ziele nicht erreicht wurden und einfach neue aufgestellt werden. Nun muss man zugeben, dass nicht einmal die Hälfte der WHO-Staaten ernsthafte Maßnahmen gesetzt hat, die Ziele wirklich zu erreichen. Aber es ist eben ärgerlich, wenn man hierzulande nur so tut, als ob Ziele ernst genommen werden und diese dann doch einfach ignoriert.

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum, Österreich mit "Gesundheitszielen" Probleme hat. Auf der einen Seite ist es der steigende Populismus. Wenn man Gesundheitsziele definiert, dann impliziert dies, dass man offenbar Verbesserungen erreichen kann. Wer gerne vom besten Gesundheitssystem redet, hat damit Probleme. Zudem bedeutet das Aufstellen von real erreichbaren Zielen ("allen alles auf allerhöchstem Niveau" zu bieten, ist kein Ziel, sondern naives Wunschdenken), Priorisierungen vornehmen zu müssen. Man kann nicht alles gleichzeitig angehen. Aber eine Priorisierung wird immer Wählerstimmern kosten, weil nicht alle die oberste Priorität erhalten können.

Auf der anderen Seite ist es die Verteilung der Kompetenzen. Denn wer ist verantwortlich für die Erreichung von Zielen? Solange keine klare Kompetenzverteilung - die eine echte Gesundheitsreform verlangte - existiert, wird man Ziele zwar formulieren, aber nicht erreichen. Denn nur, wenn es klare Verantwortlichkeiten - und nicht nur Zuständigkeiten - gibt, kann ein zielorientierter Prozess auch zum Ziel führen.

Und so bleiben wir lieber bei dem Spiel: Vollgas (die Pro-Kopf-Ausgaben sind nach Luxemburg die zweithöchsten in der EU), egal wohin!