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Geteilte Herrschaft

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Jean-Claude Juncker will als Kommissionspräsident das Machtgefüge in der Behörde verändern.


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Brüssel. Selten ist der Andrang im Pressesaal der EU-Kommission so groß. Vielleicht ein, zwei Mal im Jahr, wenn die Brüsseler Behörde ihre wirtschaftlichen Empfehlungen für die Mitgliedstaaten abgibt oder Sanktionen gegen Russland beschlossen werden sollen.

Doch auch das wurde nun übertroffen vom Drängen, Schubsen und leisen Fluchen, wenn Kameramänner mit ihrer Ausrüstung über die Beine der am Boden sitzenden Journalisten steigen mussten, die keinen Platz mehr in den Sitzreihen gefunden hatten. Hektisch blätterten die Medienleute in den Pressemitteilungen, auf der Suche nach dem Namen "ihres Kommissars" und des Aufgabengebietes, das dieser künftig zu betreuen hat. Denn nach wochenlangen Spekulationen, die angeblich durchgesickerte Entwürfe immer wieder neu nährten, stellte der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine neue Behörde vor.

Wen die Staaten für die kommenden fünf Jahre nach Brüssel entsenden wollen, war schon vorher klar. Doch das Tauziehen um die Verteilung der Ressorts, das Ringen um gewichtige wirtschaftliche Bereiche währte bis zuletzt. Juncker musste dabei nicht nur auf parteipolitische und geografische Begebenheiten Rücksicht nehmen, sondern auch auf die Repräsentanz von Frauen. Kandidatinnen genannt zu bekommen, erwies sich dabei als eine der Schwierigkeiten, doch nun soll die Behörde neun weibliche Mitglieder haben - genau so viele wie die scheidende.

Drei von sieben Vizepräsidenten weiblich

Unter den sieben Vizepräsidenten der Kommission ist die Quote noch besser: Drei Frauen werden Stellvertreterinnen Junckers. Die Italienerin Federica Mogherini ist gleichzeitig die Außenbeauftragte der EU. Die Slowenin Alenka Bratusek soll die Schaffung der Energieunion vorantreiben, und die bisherige bulgarische Kommissarin Kristalina Georgieva wird für den Bereich Budget und Personal zuständig sein. Erster Vizepräsident wird aber der Niederländer Frans Timmermans, der sich unter anderem den Fragen besserer Rechtssetzung widmen soll. Er soll Gesetzesinitiativen zurückweisen können, wenn sie nicht tatsächlich notwendig sind.

Überhaupt sollen die Stellvertreter mehr Kompetenzen als bisher erhalten. "Ich bin der Präsident der Kommission, aber ich werde die Kommission nicht präsidial führen, sondern kollegial", kündigte Juncker an: "Ich will meine Rechte teilen." Er sehe sich als Koordinator der Koordinatoren.

Die Vizepräsidenten sollen nämlich auch sogenannte Projektteams leiten - und damit haben sie die Hoheit über die Agenden bestimmter Kommissare. Diese Bündelung ist eine der Neuerungen in der Kommission und soll einer Zergliederung der Themenbereiche entgegenwirken. So ist Bratuseks Team dafür verantwortlich, die Energieunion mit der Klima- und Verkehrspolitik zu verbinden, aber auch Umweltschutz und Landwirtschaft. Der Vizepräsident für den digitalen Binnenmarkt, der Este Andrus Ansip, soll mit den Kommissaren zusammenarbeiten, die für digitale Wirtschaft, Regionalpolitik oder Binnenmarkt zuständig sind. Diese müssen aber auch gleichzeitig mit dem finnischen Vizepräsidenten Jyrki Katainen kooperieren, der den Bereich Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit übernimmt.

Neu ist ebenfalls die Zusammenführung bestimmter Gebiete in mehreren Ressorts. So sollen sich Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum sowie Klein- und mittlere Unternehmen zu einer "Schaltzentrale der Realwirtschaft" fügen, die von der Polin Elzbieta Bienkowska geleitet wird. Die Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten werden künftig nicht mehr von Steuern und Zöllen getrennt. Dass sich darum ausgerechnet der Franzose Pierre Moscovici kümmern soll, war nicht unumstritten. Kritiker werfen der Regierung in Paris nämlich vor, zu wenig auf die Haushaltsdisziplin zu achten.

In Staunen versetzte Juncker so manchen ebenfalls mit der Nominierung Jonathan Hills für das neue Ressort Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion. Denn der Brite soll unter anderem sicherstellen, dass die neuen Aufsichts- und Abwicklungsregeln für Geldinstitute umgesetzt werden. Die Vorgaben sind Teil der Bankenunion - an der sich Großbritannien gar nicht beteiligt.

Nachbarschaftspolitik gewinnt an Brisanz

Der Österreicher Johannes Hahn wiederum übernimmt die Agenden der Nachbarschaftspolitik sowie die Erweiterungsverhandlungen. Diese können zwar mit der Türkei, Serbien, Montenegro und Island weitergeführt werden, doch ist bereits klar, dass sich die Europäische Union in den kommenden fünf Jahren nicht um ein weiteres Mitglied vergrößern wird. Die Gespräche werden schlicht länger dauern. Allerdings könnte die Nachbarschaftspolitik durch den Konflikt in der Ukraine weiter an Brisanz gewinnen. Sie richtet sich nämlich unter anderem an die Nachbarn im Osten.

Politischer soll die gesamte Kommission agieren, wenn es nach den Wünschen Junckers geht. Kommissare seien nämlich mehr als EU-Beamte. Und, "was man nicht oft genug wiederholen kann": Sie seien nicht die Vertreter der Interessen ihrer Länder. Er habe ein starkes und erfahrenes Team zusammengestellt, in dem mehrere Ex-Premiers und etliche ehemalige Mitglieder des EU-Parlaments sowie der Kommission vertreten seien, betonte der Luxemburger.

Wie stark seine Behörde auftreten wird können, hängt dennoch nicht zuletzt von den Mitgliedstaaten ab. Gegen deren Willen sind Gesetzesvorschläge nicht durchzusetzen.

Zunächst einmal muss Juncker aber die Zustimmung des EU-Parlaments zu seiner neuen Behörde holen. Ab 29. September stellen sich die Kommissare in Anhörungen den Fragen der Abgeordneten; für Mitte Oktober ist ein Votum des Plenums über die Kommission angesetzt.

Die Volksvertretung kann nur das gesamte Kabinett ablehnen, doch wurden in den vergangenen Jahren schon einzelne Kandidaten ausgetauscht, wenn sie im EU-Parlament auf Missfallen stießen. Das könnte auch dieses Mal der Fall sein. Die Bewerbung der Slowenin Bratusek beispielsweise hat in ihrem Land für Unmut gesorgt. Der scheidenden Ministerpräsidentin wird - nicht nur von der Opposition - die Mitschuld an der politischen Instabilität Sloweniens gegeben. Auch der Brite Hill, der nicht zu den EU-Enthusiasten gezählt wird, könnte im Abgeordnetenhaus auf Widerspruch stoßen.

Der Zeitplan sieht jedenfalls vor, dass die neue Kommission am 1. November ihre Arbeit aufnimmt. Gerüstet für die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen an die EU sei sie laut Juncker schon jetzt.

Das Herzstück der Union
Die EU-Kommission ist die wichtigste Behörde der Europäischen Union. Sie kontrolliert die Einhaltung der europäischen Rechtsvorschriften durch die 28 Mitgliedstaaten und kann deren Anwendung einklagen. Sie macht die Gesetzesvorschläge für das Europapaparlament und den Ministerrat, in dem die nationalen Regierungen vertreten sind.

Der Präsident der EU-Kommission legt Ziele und Prioritäten der Arbeit fest. Damit übt er erheblichen Einfluss auf die Politik in der EU aus.

Die Arbeit der Kommission ist in verschiedene Ressorts aufgeteilt. Jede EU-Regierung stellt einen Kommissar, doch darf dieser im Amt keine nationalen Interessen vertreten. Über die Aufgabenverteilung entscheidet der Kommissionspräsident.

Danach muss das Europaparlament nach einer Anhörung der Ernennung zustimmen.

Dass die Kommission so groß ist, ist eine Entscheidung der Mitgliedstaaten. Ursprünglich war im Lissabon-Vertrag für 2014 eine Verkleinerung der Kommission vorgesehen. Diese ist jedoch Ende 2008 von den Regierungschefs wieder rückgängig gemacht worden.

In der EU-Kommission arbeiten einschließlich zeitweilig Beschäftigter rund 33.000 Menschen.