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Natürlich "können Sie rüber gehen in den griechischen Teil, wir sind ja ein freies Land", meint der freundliche türkisch-zypriotische Grenzbeamte im geteilten Lefkosa/Nikosia. "Nur zurück können Sie nicht, die Griechen lassen Sie nicht." - Da die Rückreise nach Nordzypern via Athen und Istanbul in diesem Fall doch etwas aufwendig wäre, verzichte ich auf diesen Ausflug in den anderen Teil der seit 1974 geteilten Insel.
Die internationale Isolation ist das Hauptproblem der nur von der Türkei anerkannten Republik Nordzypern. Folglich gibt es auch nur mit der Türkei Verkehrsverbindungen und Handelskontakte, recht einseitige allerdings. Denn außer Tourismus und Landwirtschaft hat Nordzypern nicht allzu viel zu bieten. Und die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte bestimmt eben die Türkei, nicht der Weltmarkt, dann wären sie nämlich höher. Die Einkünfte des Tourismus halten sich ebenfalls in Grenzen, da das Preisniveau niedriger ist als in der Türkei und die Gäste keineswegs scharenweise kommen. Schön wäre es ja dort schon und das Wasser ist glasklar, aber die Anreise über Istanbul ist doch etwas aufwendig und teuer. Daher kommen die meisten Gäste aus der Türkei, kaufen billige Ferienhäuser, besuchen die in der Türkei verbotenen Kasinos oder lassen es sich einfach gut gehen.
Hinterhof der Türkei
Die Türkei ist die alleinige Existenzgrundlage Nordzyperns. Vierzigtausend türkische Soldaten bewachen zusätzlich zur UNO - Friedenstruppe den Status quo, die Türkei unterstützt den Staat finanziell, gezahlt wird mit Türkischen Lira, womit auch die Inflation und Währungsschwäche vom Festland auf die Insel exportiert wird. Nordzypern ist also ein kleiner Hinterhof der Türkei, ein zusätzliches Absatzgebiet, aber auch kaum der Rede wert, denn jede bessere türkische Provinzstadt hat mehr Einwohner als die zweihunderttausend Nordzyprioten, von denen ca. sechzigtausend Zuwanderer vom Festland sind. Die griechische Republik im Süden ist hingegen Musterschüler unter den EU - Beitrittskandidaten mit solider Wirtschaft und guter Währung.
Was, fragt man sich daher, spricht also gegen einen Schlussstrich unter die turbulente Vergangenheit der beiden Inselvölker, eine Wiedervereinigung in einem Bundes-, Kantonalstaat, oder was auch immer, und einen gemeinsamen Beitritt zur EU, wie diese es anbietet? - Eben, die Vergangenheit spricht dagegen!
Politische Fehler
Bevölkerungskonflikte entstehen nicht von sich aus, sie werden gemacht, von oben geschürt, von politischen Hitzköpfen angeheizt, bis wirklich keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr vorhanden ist.
In der Weltöffentlichkeit wird Nordzypern kaum wahrgenommen, oder bestenfalls als Kuriosität belächelt. Da der Staat keine Botschaften und somit kaum Zugang zur internationalen Presse besitzt, hat er eben schlechtere Karten als der Süden. Aufgrund der historischen Fakten erscheint die Teilung aber keineswegs so kurios, sondern eigentlich als logische Folge von vielen Fehlern in der Politik.
Islam und Christentum waren seit byzantinischer Zeit auf der Insel heimisch, seit dem 16. Jahrhundert herrschten die Osmanen. Zumeist gestaltete sich das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen friedlich, auch dank der von den Osmanen gewährten Autonomie, von der besonders die Griechen profitierten. Als 1804 inseltürkische Pächter und Taglöhner gegen die ihrer Meinung zu große Macht der Erzbischöfe, hinter denen die griechischen Großgrundbesitzer standen, revoltierten, kam sogar das türkische Militär, das vor allem Ruhe auf der Insel haben wollte, dem bedrängten Erzbischof zu Hilfe.
1878 verlor das Osmanische Reich Zypern an die Briten, die die Insel bis 1960 als Kolonie verwalteten. Und deren Einfluss ist bis heute in beiden Staaten spürbar: der Verkehr verläuft für südliche Länder ausgesprochen ruhig, meist sogar ohne Zuhilfenahme der anderorts obligaten Hupe, man fährt links und schlürft Whiskey sour.
Mit dem Rückzug der Engländer begann jedoch der Ärger. Unter Präsident und Erzbischof Makarios wurden die türkischen Minderheitsrechte immer mehr zurückgenommen, Terroranschläge gegen die Türken (allein im blutigen Dezember 1963 wurden über 300 Türken ermordet) nie richtig verfolgt, und die Türken weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt. Makarios fühlte sich nur als Präsident der Griechenzypern und strebte - für die Türken unannehmbar - eine Vereinigung mit Griechenland an.
Nach einem Putsch gegen Makarios durch griechische Nationalisten, die den Türken endgültig an den Kragen und Zypern endlich an Griechenland anschließen wollten, intervenierten türkische Truppen am 20. Juli 1974 gemäß einer Garantie - Klausel des Zürich - Londoner Abkommens von 1959 zum Schutz der Minderheit, welches der Türkei den Rang einer Schutzmacht zusprach.
Das besetzte Territorium von Nordzypern sollte bis 1983 ein Provisorium bleiben, um Verhandlungen für eine neue Form des Zusammenlebens zu ermöglichen. Die griechische Seite wirft den Türken vor allem vor, mit ca. 40% der Inselfläche einen viel größeren Teil besetzt zu halten, als es dem Bevölkerungsanteil der türkischen Zyprioten entspricht und kritisiert auch scharf die Neuansiedlung von Festlandtürken. Statt Verhandlungsergebnissen gab es aber nur Umsiedlungen und eine immer schärfere ethnische Trennung. 1983 schließlich riefen die türkischen Zyprioten einen eigenen Staat aus, verspekulierten sich aber in der Einschätzung der öffentlichen Meinung. Außer der Türkei war kein Staat der Welt bereit, die neue Republik anzuerkennen.
Eine Chance?
Und so werden sich die beiden alten Präsidenten, Denktasch aus dem Norden und Klerides aus dem Süden, wie schon jahrzehntelang weiterhin regelmäßig zu Verhandlungen treffen, aber wahrscheinlich genauso vergeblich wie bisher. Denn ohne gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit wird zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen nichts Gemeinsames möglich sein. Auch die Verlockungen der EU werden da nichts ändern. Oder vielleicht doch?
Und genauso wahrscheinlich wird der Süden eben alleine der EU beitreten, wirtschaftlich noch mehr davonziehen (das Pro-Kopf-Einkommen ist im Süden viermal so hoch wie im Norden) und sich bequem in Europa etablieren. Der Norden dagegen wird weiterhin versuchen mit fußballfeldgroßen, auf Berghänge gemalten Fahnen ein Nationalbewusstsein aufzubauen. Zahlreiche Atatürk - Statuen und die Omnipräsenz der türkischen Wirtschaft lassen die Menschen allerdings zweifeln, ob nicht ein Beitritt zur Türkei gleich besser wäre. Dann hätten sie wenigstens einen international anerkannten Pass.
Murathan hat die Reiseproblematik für sich so gelöst: Er besitzt einen türkischen Zweitpass, der ihm in Europa, sofern er alle Visa erhält, eine gewisse Mobilität ermöglicht. Es gäbe auch die Möglichkeit, erzählt er, sich bei einer zypriotischen Botschaft irgendwo im Ausland einen griechisch - zypriotischen Pass ausstellen zu lassen, den er auch als "Nordbürger" erhalten würde - aber, so Murathan, "das machen nur die Verräter!" Vielleicht gibt es aber Wunder, und alles kommt anders. Denn - "Verräter" hin oder her - das Angebot der EU ist doch ziemlich verlockend: Mit einem Schlag wäre die gesamte Reiseproblematik gelöst, Murathan bräuchte weder zwei Pässe noch Visa, der Weg zu den Fördertöpfen in Brüssel wäre frei, man könnte in Europa mitbestimmen. Doch wahrscheinlich wird über dieses Angebot der EU und Pläne der UNO nicht in Lefkosa/Nikosia bestimmt werden, sondern in Ankara. Die Türkei verbindet ihre Zustimmung zur Lösung des Zypernproblems mit der Nennung eines Datums für einen Termin, an dem dann EU-Beitrittsverhandlungen starten sollen.
Eine Annäherung gibt es, allerdings zwangsweise, und nur in kleinem Rahmen: Einmal wöchentlich treffen die beiden Bürgermeister von Lefkosa/Nikosia im ehemaligen "Ledra" - Hotel (heute Sitz der UN - Friedenstruppe) an der Demarkationslinie zusammen und reden über Kommunales, denn die Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung der geteilten Stadt funktioniert immer noch gemeinsam. Und was deren Funktion betrifft, hat man ja doch gemeinsame Interessen.