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Gewagter Alleingang

Von Veronika Eschbacher

Politik

Pakistanischer Offizieller: Präsident Karzai führe Afghanistan "in die Hölle".


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Islamabad/Kabul. "Indien und Bangladesch hassen uns schon. Wird uns jetzt noch ein Nachbarland hassen?", fragt ein Kommentar auf der pakistanischen Website "Express Tribune". Die Sorge des Users hat Jawel Ludin ausgelöst, Afghanistans Vizeaußenminister. Dem Offiziellen war offensichtlich der Kragen geplatzt. Afghanistan wäre schockiert über die "Gleichgültigkeit" Pakistans im afghanischen Friedensprozess, sagte er am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Das Land sei nun bereit, ohne Islamabads Hilfe an der Aussöhnung des Landes zu arbeiten.

Es war das erste Mal, dass ein offizieller Vertreter Afghanistans die Möglichkeit eines Alleingangs öffentlich ausgesprochen hat. Bisher war stets betont worden, dass ein Friedensprozess ohne Pakistan nicht möglich sei. Die Regionalmacht wurde aufgrund der gemeinsamen, porösen Grenze sowie ihrer langen Verbindungen mit aufständischen Gruppen als unabdingbarer Partner gesehen.

"Was aber in den letzten Monaten passiert ist, zeigt uns, dass Pakistan jedes Mal die Torpfosten umstellt, sobald wir eine Abmachung erzielt haben", sagte Ludin.

Die ohnehin belasteten Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben sich durch eine Reihe von Aussagen und Reaktionen in den letzten Tagen auf ein ungewöhnlich aggressives Level hochgeschaukelt. Ein hoher pakistanischer Regierungsbeamter hatte den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai am Montag als "größtes Hemmnis" für Frieden bezeichnet und hinzugefügt, dieser würde - ungeachtet dessen, dass er sich selbst als Heiland darstelle - das Land "direkt in die Hölle führen".

Die Afghanen hatten bereits vor der jetzigen Zuspitzung in den Beziehungen aufgeregt, dass Pakistan bei einem trilateralen Gipfel mit Großbritannien in London im Februar nicht volle Kooperationsbereitschaft zeigte. Denn: Nach einer Annäherung zwischen den Ländern in den Monaten davor waren auf den Gipfel große Hoffnungen gesetzt worden. Insidern zufolge hatte Pakistan in London von Karzai verlangt, erst eine innerafghanische Versöhnung mit der Opposition anzustrengen. Sobald Afghanistan dann mit einer vereinten Stimme sprechen würde, könne man eine Versöhnung mit den Taliban verfolgen. Karzai blaffte zurück, dies sei eine intolerable Einmischung in die inneren Angelegenheiten und lehnte den Vorschlag kategorisch ab.

"Frieden ist ein unbestreitbares Recht der Afghanen", sagt ein afghanischer Beamter, der nicht genannt werden wollte, zur "Wiener Zeitung". Man bestehe nach so vielen Kriegsjahren auf einen Friedensprozess, der auf die Errungenschaften der letzten zwölf Jahre aufbaue - somit auch auf die Werte der afghanischen Verfassung - und der von den Afghanen selbst angeführt werde, nicht von anderen Ländern.

Frieden ohne Pakistan überhaupt möglich?

Das sieht Pakistan aber offensichtlich nicht so eng. Vor allem wenn es darum geht, wer den Friedensprozess antreibt. "Es gibt keine andere Option außer der Versöhnung - mit oder ohne Karzai", sagte der hohe pakistanische Regierungsbeamte. Sollte Karzai weiterhin stur sein, dann würden "er und sein Hoher Friedensrat naturgemäß außen vor gelassen". Pakistan gibt sich großzügig: Man wolle zwar weiterhin Kontakte mit Karzai aufrecht erhalten, aber auch das Engagement mit der afghanischen Opposition, den Taliban und Washington zugunsten des Friedens intensivieren. Die afghanische Regierung tobt seit dieser Aussage.

Ob ein kompletter Alleingang Afghanistans jedoch überhaupt möglich ist, bleibt fraglich. Ludin erklärte, dass man die eigenen Friedensbemühungen auf leitende Taliban konzentrieren würde, die im von den USA kürzlich übergebenen Gefängnis in Bagram einsitzen. Afghanistan hoffte bereits zuvor auf die Kooperation von in Pakistan freigelassenen Taliban und deren Einfluss auf die Aufständischen. Analysten aber bezweifeln dies: Einerseits seien nicht die hochrangigen Taliban entlassen worden, die Kabul sich gewünscht hatte, andererseits gäbe es Gerüchte, diese seien von pakistanischer Seite vor ihrer Entlassung aufgerufen geworden, Afghanistan weiter zu bekämpfen.