Eine EU-Richtlinie soll die Istanbul-Konvention ergänzen. Rückschritte oder Halbherzigkeit können wir uns nicht leisten.
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Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie häusliche Gewalt sind mit die größten Übel unserer Zeit und ein Ausdruck der Diskriminierung von Frauen und schwächeren Angehörigen. Bis zu 41 Prozent der Frauen haben laut einer aktuellen Eurostat-Umfrage schon einmal Gewalt erfahren. Ein wichtiger Schritt zur Stärkung nationaler Rechtsvorschriften und Strategien gegen diese Form der Gewalt ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - kurz: Istanbul-Konvention -, das 2014 in den Vertragsstaaten in Kraft trat.
Die EU hat die Istanbul-Konvention im Jahr 2017 unterzeichnet, der Beitritt wurde jedoch im Rat mehrere Jahre verzögert. Vor drei Wochen hat der Rat die Blockade schließlich aufgehoben und den Beitritt zur Konvention beschleunigt. Das ist ein vielversprechendes Signal für die Gleichstellung der Geschlechter und für bessere Reaktionen auf Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention wird sichergestellt, dass die EU internationale Standards einhält, eigene umfassende Rechtsvorschriften vorlegt und den Verpflichtungen aus der Konvention in allen EU-Politikbereichen nachkommt.
Vor genau einem Jahr hat die EU-Kommission eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorgeschlagen, mit der die Konvention ergänzt und unser Rechtsrahmen vervollständigt wird. Die Richtlinie enthält gemeinsame Mindeststandards für alle EU-Länder in den Bereichen Prävention, Schutz, Unterstützung der Opfer, Zugang zur Justiz, Zusammenarbeit und Koordinierung der Hilfsangebote.
Gewalt gemeinsam bekämpfen
Wir schlagen vor, Gewalt gegen Frauen als Straftatbestand einzustufen - auch Online-Gewalt. Dazu zählen etwa die nicht einvernehmliche Weitergabe oder Androhung der Weitergabe intimer Bilder, Videos und Audiodateien sowie Hassbotschaften im Netz. Die Bekämpfung von Online-Gewalt ist ein Muss in unserer Zeit, in der sich immer mehr Lebensbereiche ins Internet verlagern, obwohl der virtuelle Raum nicht für alle Beteiligten sicher ist. In unserem Vorschlag definieren wir außerdem Vergewaltigung als Straftat, wenn dem Geschlechtsakt nicht zugestimmt wird.
Die Istanbul-Konvention und unser Gesetzesvorschlag - sobald angenommen - werden die EU-Länder verpflichten, gezielt dafür zu sorgen, dass Frauen und Mädchen Straftatbestände einfacher und in einem unterstützenden Umfeld melden können. Sie werden den EU-Ländern Anreize geben, ihre Präventionsprogramme weiter auszubauen und die Unterstützungsleistungen zu verbessern, wobei Mindeststandards für die gesamte EU gelten werden. Am Weltfrauentag sind meine Gedanken bei allen starken Frauen, die Gewalt überlebt haben, sei es in der EU, in Kriegsgebieten wie der Ukraine oder in Ländern, die von totalitären Regimen geführt werden, etwa Afghanistan und Iran. Ich denke an alle Frauen, die sich ein neues Leben aufbauen mussten, die ihr Zuhause verlassen, einen neuen Arbeitsplatz und eine neue Schule für ihre Kinder finden mussten, die so viel geopfert haben, um ihren Peinigern zu entkommen.
Ich denke an die Ungerechtigkeit und das Gefühl der Ohnmacht, das viele Frauen erleben, wenn sie sich fragen müssen, ob sie die Gewalt ertragen oder gehen sollen, ohne zu wissen, was sie erwartet. Ich denke an die unzähligen Selbsthilfegruppen, ein essenzielles Angebot zivilgesellschaftlicher Organisationen, und an den Zusammenhalt und die Selbstermächtigung, die daraus entstehen.
Ich zähle darauf, dass die EU-Länder Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt gemeinsam und entschlossen bekämpfen, und fordere sie auf, die Ratifizierung der Istanbul-Konvention abzuschließen und die vorgeschlagene EU-Richtlinie anzunehmen, um den Rechtsrahmen zu vervollständigen. Um erfolgreich zu sein, müssen wir energischer gegen diese Form der Gewalt auftreten. Tatsächlich hat sich die Lage für Frauen und Mädchen wieder verschlechtert, denn es gibt neue Risiken wie die wachsende Gewalt im Internet.
Gesetze allein werden nicht reichen
Fortschritte bei der Geschlechtergleichstellung sind weder garantiert noch unverrückbar. Wir können es uns nicht leisten, Rückschritte zu machen oder Gewalt gegen Frauen nur halbherzig zu bekämpfen, denn so können wir nur verlieren. Gesetze allein werden nicht reichen. Damit wir endlich weiterkommen, brauchen wir eine Revolution. Wir müssen uns mit Frauenfeindlichkeit auseinandersetzen: in unseren Justiz- und Bildungssystemen, in den Medien, bei der Polizei und zu Hause.
Wir müssen einen Kulturwandel in Gang setzen: Männer müssen lernen, keine Gewalt anzuwenden, und Frauen müssen lernen, unabhängig zu sein und sich aus Gewaltsituationen zurückzuziehen. "So sind Männer eben" - diese Ausrede ist inakzeptabel. Gleichstellung wird erst dann erreicht sein, wenn alle an einem Strang ziehen.