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Bei anhaltendem Terror Truppenabzug gefährdet. | Kein Lager verfügt über klare Mehrheit. | Bagdad/Wien. Auch zum Auftakt der Parlamentswahl im Irak gab es wieder tödliche Anschläge: Während in Kasernen, Gefängnissen und Krankenhäusern bereits drei Tage vor der eigentlichen Wahl am Sonntag abgestimmt werden durfte, explodierten in Bagdad neuerlich drei Bomben. Sie rissen mindestens zwölf Menschen in den Tod. Tags zuvor waren in der Stadt Bakuba 32 Menschen bei Anschlägen gestorben.
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Dass solche Attentate trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen möglich sind, beunruhigt die US-Amerikaner. Bis zum 1. September wollen diese ihre Kampftruppen abgezogen haben, über diesen Termin hinaus sollen von den jetzt 95.000 noch 50.000 Soldaten vor allem zu Ausbildungszwecken bleiben.
Sollte das erwartete monatelange Gerangel um die Bildung einer neuen Regierung mit einem Anstieg der Gewalt einhergehen, müsste man diese Absicht wohl umstoßen, fürchtet man in der Regierung von Präsident Barack Obama. Man habe den "Plan B", eine Kampfbrigade über den 1. September hinaus im Nordirak stationiert zu lassen, verkündete zu Wochenbeginn der US-Oberkommandeur Ray Odierno. Außerdem sei man darauf vorbereitet, die Ausbildungstruppen weiterhin für Kampfeinsätze heranzuziehen, schreibt die "New York Times".
Sollte das aber der Fall sein, kommt Obamas Demokratische Partei für die Teilkongresswahlen im September weiter unter Druck. Denn der Abzug aus dem Irak war ein Thema, dass den Wahlerfolg Obamas mit entschied. Und bisher ist die außenpolitische Agenda des Präsidenten mit wenig Erfolg verknüpft: Die Truppen in Afghanistan werden mit unsicheren Erfolgsaussichten aufgestockt, und die geplante baldige Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba steht in den Sternen.
Fronten verwischt,aber nicht aufgelöst
Im Irak selbst tun die drei größten Blöcke indes alles, um sich von gewalttätig ausgetragenen ethnischen Konflikten der Vergangenheit zu distanzieren: "Nein zur Spaltung zwischen Volks- und Religionsgruppen", haben sie sich alle auf ihre Fahnen geschrieben. Die Iraker sind der religiösen Auseinandersetzungen müde, wird gemutmaßt. Dafür würde auch sprechen, dass der säkular orientierten Gruppe von Ex-Regierungschef Iyad Allawi in einer Umfrage der zweite Platz hinter der "Allianz für den Rechtsstaat" von Ministerpräsident Nuri al-Maliki vorausgesagt wird.
Die Umfrage wurde durch das der Regierung in Bagdad unterstehende "Nationale Medienzentrum" erstellt. Sie sieht die schiitisch-religiöse Liste "Nationale Allianz" an dritter Stelle. Diese ist eines der wenigen Parteibündnisse, die an den religiösen Grenzen festhalten. Bisher war man mit Premier Maliki verbündet, dem aber der Machterhalt wichtiger ist. Er hat deshalb auch Sunniten auf seiner Liste, ebenso wie die "Irakische Einheit" des schiitischen Innenministers Jawad Bolani. Die sunnitische Konsensfront hat zur Wahl Allawis aufgerufen. Zunächst hatte sie für einen Wahlboykott plädiert, nachdem 455 vorwiegend sunnitische Kandidaten von der Wahlkommission nicht zugelassen wurden, wofür sie Schiiten unter dem Einfluss des Iran verantwortlich machte. Die ethnisch-religiösen Fronten sind also durchaus noch vorhanden.
Wenn sie nicht mehr so offensichtlich wie bei den letzten Parlamentswahlen 2005 erscheinen, liegt das unter anderem an den "ethnischen Säuberungen", die seither erfolgt sind. Die durch Gewalt hervorgerufene Furcht hat viele Bewohner aus ihrer Heimat vertrieben, in zentralen Gebieten und Bezirken der Hauptstadt Bagdad findet sich heute nur noch einzige religiöse Gruppe. Wo dies nicht der Fall ist, wie im Nordirak, wo sich Kurden, Turkmenen, Araber und Christen mischen, kommt es immer wieder zu Terroranschlägen. In Mossul etwa wurden in den letzten Wochen mindestens zwölf Christen ermordet.
Neue Regierung erst in einigen Monaten?
In dieser Gegend leben auch Kandidaten gefährlich: In Mossul wurde Anfang Februar eine Frau, die für Allawis Block antreten wollte, erschossen. Ein Viertel der 325 Parlamentssitze ist für Frauen reserviert. Nach dieser Wahl wird diese Quote allerdings abgeschafft.
Aber auch in anderen Landesteilen wurden Kandidaten und Kandidatinnen angegriffen. Und die Sicherheitssituation und Menschenrechtslage ist trotz Verbesserungen im vergangenen Jahr noch immer prekär, vermerkt Amnesty International.
Die Gewalt und rechtliche Unsicherheit schreckt ausländische Investoren ab. Die wirtschaftliche Lage bleibt also schlecht, der Bevölkerung machen zudem ständige Stromausfälle und die mangelnde Gesundheitsversorgung zu schaffen. Alles Umstände, die an den guten Umfragewerten für Premier Maliki zweifeln lassen. Aber selbst die zitierte Umfrage sieht Malikis "Allianz" nur bei knapp 30 Prozent, weit weniger als im Dezember 2005, als die damals noch vereinten Schiitenparteien nur um zehn Mandate an der absoluten Mehrheit vorbeischrammten. Das heißt, dass die Regierungsbildung noch komplizierter wird als vor vier Jahren.
Damals dauerte es zwei Monate, bis die Wahlkommission das umstrittene Wahlergebnis bestätigte, und weitere drei Monate bis zur Bildung einer aus vier Parteikoalitionen gebildeten Regierung der Nationalen Einheit. Verläuft der Prozess diesmal ähnlich langsam, bleibt viel Zeit für Streit - und für Gewalt.