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Nach dem Putsch droht ein Bruch zwischen der Türkei und dem Westen. Doch Präsident Erdogan hat vorgebaut - eine Analyse.
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Ankara. Es ist noch kein halbes Jahr her, da stand Recep Tayyip Erdogan ziemlich allein da. Denn der Mann, der den Satz "null Probleme mit den Nachbarn" zum Credo der türkischen Außenpolitik erhoben hat, hatte zu diesem Zeitpunkt ziemlich viele Probleme mit so gut wie allen Nachbarn. Und auch von den anderen einflussreichen Staaten in der Region, waren nur die wenigsten gut auf die Türkei und den mittlerweile vom Premierminister zum Präsidenten avancierten Erdogan zu sprechen.
Mit Israel war es etwa 2010 zum Bruch gekommen, nachdem die israelische Marine die "Mavi Marmara" gestürmt und dabei zehn türkische Staatsbürger getötet hatte. Das Passagierschiff, das heute noch in Istanbul vertäut liegt, hätte vor sechs Jahre als Teil einer "Solidaritätsflotte" die israelische Blockade des Gaza-Streifens durchbrechen sollen.
Ähnlich angespannt war auch das Verhältnis zu Ägypten, nachdem dort 2013 der von Ankara unterstützte islamische Präsident Mohammed Mursi vom Militär gestürzt wurde. Und Russland hatte sogar Sanktionen gegen die Türkei verhängt, nachdem ein türkischer Kampfjet ein russisches Flugzeug im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen hatte.
Selbst in der Beziehung zum Nato-Partner USA kriselte es damals ganz heftig. Denn im Kampf gegen den Islamischen Staat wollten sich die Vereinigten Staaten nicht nur auf die Luftschläge verlassen, die vor allem vom türkischen Stützpunkt Incirlik aus geführt werden. Sie setzten auch ganz massiv auf die Kurdenmiliz YPG, die der Türkei wegen den vielen Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK aber ein Dorn im Auge ist.
Als einziger Bündnispartner mit einem vitalen Interesse an guten Beziehungen war für Erdogan damit die Europäische Union übrig geblieben. Die Europäer mochten zwar über den immer autoritäreren Kurs Erdogans die Nase rümpfen und die sukzessive Aushöhlung des Rechtsstaats beklagen, doch am Ende war es der Abschluss des Flüchtlingsdeals mit der Türkei, der für die EU-Staaten zur obersten Priorität geworden war. Selbst die in vielen Ländern ausgesprochen umstrittene Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger hatte man im Gegenzug dafür aufgeboten, dass die Türkei den Flüchtlings-Zustrom nach Europa stoppt. "Die Europäische Union braucht die Türkei mehr als die Türkei die Europäische Union braucht", frohlockte Erdogan damals.
Die Karten sind neu gemischt
Doch dem türkischen Präsidenten, der als kluger Taktiker gilt, dürfte bereits damals klar gewesen sein, dass ein Ass alleine längst kein gutes Blatt macht. Denn seit dem Abschluss des Flüchtlingspakts wurden in Europa auch immer wieder Stimmen laut, die forderten, dass man der Türkei nicht zu weit entgegenkommen dürfe. Und im schlimmsten Fall hätte damit Erdogan am Ende auch isoliert und mit leeren Händen dastehen können.
Doch der türkische Präsident, der gerne alles unter Kontrolle hält, hat gemeinsam mit seinem neuen Premierminister Binali Yildirim vorgebaut. Am 26. Juni geben die Türkei und Israel bekannt, ihre Beziehungen nach sechs Jahren Eiszeit wieder normalisieren zu wollen. Nur einen Tag später entschuldigt sich Erdogan höchstpersönlich bei Präsident Wladimir Putin für den Abschuss des russischen Kampfjets und spricht der Familie des getöteten Piloten sein "tiefstes Beileid" aus.
Die Gräben mit den unmittelbaren Nachbarn zuzuschütten fällt dann Yildirim zu, der Mitte Juli live im Fernsehen erklärt, dass die Türkei jetzt "gute Beziehungen mit Syrien und dem Irak anstrebe". Für Erdogan dürfte sich der außenpolitische Kurswechsel schon jetzt bezahlt machen. Denn in den Nachwehen des gescheiterten Putschs dürften sich die Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union und den Vereinigten Staaten nochmals drastisch verschlechtern.
Erdogan und Yildirim zeigen zwar bisher vor allem auf den in den USA lebenden Kleriker Fethullah Gülen als Drahtzieher des Putsches und drängen auf dessen Auslieferung, doch andere Politiker aus den Reihen der AKP wagen sich schon deutlich weiter aus der Deckung. So deutet etwa Arbeitsminister Süleyman Soylu relativ unmissverständlich an, die Vereinigten Staaten steckten selbst hinter dem Umsturzversuch. US-Außenminister John Kerry sah sich sogar dazu genötigt, in einem Telefonat mit seinem Amtskollegen vor einer Schädigung der bilateralen Beziehungen durch "völlig falsche Andeutungen und Behauptungen" zu warnen.
Der Westen ist besorgt
Die Alarmglocken läuten in den USA und Europa aber nicht nur wegen der mitunter kruden Theorien zum Hintergrund des Putsches. Sowohl in den EU-Hauptstädten wie auch in Washington wird befürchtet, dass die von Erdogan angekündigte "Säuberungswelle" bei Polizei, Justiz und Militär zu einem blindwütigen Rachefeldzug gegen alle tatsächlichen und vermuteten Gegner ausarten könnte. Bereits kurz nach der Niederschlagung des Aufstands hatte Yildirim die Wiedereinführung der Todesstrafe für die Putschisten ins Spiel gebracht. Präsident Erdogan selbst will die Wiedereinführung dieser gegenüber dem US-Sender CNN nicht ausschließen. Die USA müssten auch seinen Widersacher, Fethullah Gülen ausliefern.
Wie besorgt die EU in dieser Hinsicht ist, lässt sich wohl auch an jener Erklärung ablesen, die die 28 Mitgliedsstaaten am Montag veröffentlicht haben. Darin rufen die Außenminister den türkischen Staat mit ungewöhnlich deutlichen Worten zur Zurückhaltung auf. Bereits zuvor hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärt, eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union sei bei der Einführung der Todesstrafe unmöglich.
Ob Erdogan sein Land überhaupt noch in den Klub der Europäer führen möchte, scheint derzeit aber ohnehin fraglich. Denn angesichts der neuen diplomatischen Konstellationen, dürfte auch ein Konzept wieder stark an Reiz gewinnen, das Erdogan und sein damaliger Außenminister Ahmet Davutoglu zusammen mit dem "Null"-Probleme-Credo entwickelt hatte: Statt der ewige Bittsteller vor den Toren Europas zu sein, sollte die Türkei zur starke Regionalmacht werden.