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Der ÖGB hat einen wichtigen Fürsprecher: Bundespräsident Thomas Klestil. Er stärkte gestern zum Auftakt des Bundeskongresses diesem den Rücken und erntete dafür minutenlang tosenden Applaus und begeisterte Zurufe. Mit Worten wie "ich warne davor, Vermögenswerte und Einrichtungen, die unsere Vorfahren mühsam geschaffen haben, aufzugeben" oder "Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen dürfen nicht zum Schaden der Bevölkerung aufgegeben werden", eroberte er die Delegierten im Sturm.
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Gespannte Stimmung herrschte schon zu Beginn des ÖGB-Bundeskongresses im Austria Center. Fast alle Vertreter der Regierung waren gekommen, um sich dem alle vier Jahre stattfindenden Ereignis zu stellen. Mit dem Wohlwollen der Delegierten konnten die Minister jedoch nicht rechnen. Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein wurden mit Buhrufen bedacht, sobald die Saalkamera sie ins Bild nahm.
Die Eröffnung war diesmal ein ungewohntes Rededuell zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten, bei dem der Präsident gemäß der Usance das letzte Wort hatte. Während Wolfgang Schüssel gegen Zurufe und Pfeifen rhetorisch äußerst geschickt vorgehen musste, schaffte es Klestil, die Aufmerksamkeit und Begeisterung der Delegierten im Nu zu gewinnen.
Zwar musste vier Jahre zuvor auch Kanzler Viktor Klima (SPÖ) viel Kritik der Funktionäre einstecken und erleben, wie eisig ein Empfang selbst unter Genossen sein kann. Doch diesmal waren die Delegierten wegen diverser Einschnitte im Sozialbereich durch die schwarz-blaue Regierung wie Pensions- und ÖBB-Reform, Eingriffen beim Hauptverband, Voest-Privatisierung und Privatisierungspläne im Dienstleistungsbereich (Post, Telekom, Pflegebereich) am Kochen. Doch dank gekonnter rhetorischer Kunstgriffe konnte der Kanzler jede Attacke aus dem Publikum parieren und sie entweder Vizekanzler Herbert Haupt oder den Delegierten selbst zuspielen. Auch die besänftigenden Worte von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch halfen.
Klestil entpuppte sich als "Gewerkschafter", wie Verzetnitsch anmerkte. Mit seinem Plädoyer für die Sozialpartnerschaft und seiner Warnung vor den globalen Bedrohungen für den öffentlichen Sektor wie die GATS-Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation wurde Klestil mit Beifall bedacht. Doch zum Star der Veranstaltung wurde er mit den Worten: "Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht der Hemmschuh einer modernen Wirtschaftspolitik, sondern deren Gewissen". Ein Begeisterungssturm brach los, die Delgierten waren nicht mehr zu halten. Klestil verwahrte sich dabei gegen das Vorurteil, wonach eine Kluft zwischen den Forderungen der Gewerkschaft und den Wünschen der Bevölkerung bestünde. Im Gegenteil: Es sei die Sorge vieler Bürger, dass Bereiche der Grundversorgung ausverkauft werden. "Doch Österreich darf seinen nationalen Schatz in der derzeitigen weltwirtschaftlichen Situation keinesfalls aufgeben." In Anspielung auf die Voest-Privatisierung und weitere Verkaufspläne mahnte Klestil, dass "auch in Zukunft auf die Vermehrung und nicht auf die Verringerung von Volksvermögen" zu achten sei. Weiters forderte er im Rahmen der EU-Erweiterung von der Regierung Maßnahmen gegen Lohndumping und den Verlust von Arbeitsplätzen ein.
Im Schatten von Kanzler und Bundespräsident stand gestern Wiens Bürgermeister Michael Häupl. Der sonst so geviefte Redner schaffte es diesmal nicht, die Masse zu begeistern. Er verlangte angesichts der bestehenden Wirtschaftsflaute eine sofortige Steuersenkung und belebende Impulse durch öffentliche Investitionen. Seine Unterstützung bekam das ÖGB-Pensionsmodell. Doch gegen Ende der Rede verlor er sich in Nebenthemen wie dem Gratis-Schulbuch.
Zu Beginn begrüßte Verzetnitsch seine Mitstreiter: "Solidarität ist ein Gebot der Stunde. Denn das Karusell dreht sich immer schneller und viele fallen heraus." Vorwürfe, wonach der ÖGB ein Annex der großen Oppositionspartei sei, erwiderte er mit dem Hinweis: "De Gewerkschaften sind kein Ersatz für politische Parteien, sondern die Stimme der Arbeitnehmer." Und jede Regierung würde danach beurteilt, was sie für diese tue. Scharfe Kritik gab es an der Plakataktion der Regierung, die "die ÖBB als Privilegienverschiebebahnhof darstellt".