Nachdem es zwischen Eisenbahner-Gewerkschaft (GdE) und ÖBB-Vorstand zu keiner Einigung bei den Verhandlungen gekommen ist, kündigt Gewerkschafts-Chef Wilhelm Haberzettl weitere Proteste an. Dies hätte auch Zugausfälle im Fernverkehr zur Folge. Ein massiver Personalmangel an Lokführern bei den ÖBB führte am Wochenende zu Problemen im Zugverkehr. Seit Freitag weigern sich Lokführer weiterhin unbezahlte Überstunden zu leisten. Durch "Dienst nach Vorschrift" kam es zu Zugausfällen in Wien und Umgebung.
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Seit Sonntag Abend laufen die Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft- und der ÖBB-Spitze. Am Montag wurden die Gespräche nach eineinhalb Stunden von der Eisenbahner-Gewerkschaft abgebrochen.
Denn neben dem Streit um fehlende Lokführer belasteten weitere Personaldebatten das Gesprächsklima. Anstatt die Gewerkschaftsforderung nach mehr Personal bei Lokführern zu erfüllen, legte der ÖBB-Vorstand ein Maßnahmenpaket auf den Verhandlungstisch, das laut Gewerkschaftschef weitere Verschlechterungen für die Eisenbahner zur Folge hätte. Beförderungsstopps und Änderungen der Entlohnungsstruktur, das sei die Einleitung von Lohn-Dumping-Maßnahmen. Weiters sehe das Vorstandspaket Zwangspensionierungen, Golden Handshake-Programme, Karenzierungen und Änderungskündigungen vor. Bis 2007 sollen rund 7.000 der derzeit 47.000 ÖBB -Mitarbeiter abgebaut werden.
Ebenso werde an der Ausgliederung des Bereichs Planung & Engineering, der Werkstätten, der Kraftwerke sowie der Reinigung gearbeitet. Haberzettl verlangt die Rücknahme des Pakets. Bei den gestrigen Verhandlungen sei ÖBB-Vorstand Rüdiger vorm Walde allerdings nicht gesprächsbereit gewesen. Nun werden die Protestmaßnahmen auf die Werkstätten, die Schaffner und das Kassenpersonal ausgeweitet, lässt Haberzettl wissen. Er sei aber jederzeit zu weiteren Verhandlungen bereit. Auch in der Frage der Lokführer sei man auf keinen Zweig gekommen.
Ein freier Tag pro Woche
Die Gewerkschaft fordert eine Rückkehr zu "vernünftigen Arbeitszeiten" sowie eine Anhebung der Lehrlingszahlen in diesem Bereich von 180 auf 250 pro Jahr. Ein Arbeitstag pro Woche sollte frei sein. Obendrein wehrt sich die Belegschaftsvertretung gegen mögliche Gehaltskürzungen. Haberzettl versicherte, dass alle Mitarbeiter ihre Pflichten und Dienstpläne einhielten. Überstunden werden keine mehr geleistet. Es gehe nur um einen freien Tag in der Woche. Denn das System Schiene brauche zur Gewährleistung der Sicherheit Reserven.
"Die Lokführer werden bis an ihre physische Leistungsgrenzen getrieben. In ganz Europa gibt es deshalb aus Sicherheitsgründen keine Überstunden für Lokführer." Haberzettl rechtfertigt den Boykott, indem er auf unhaltbare Zustände im Personalbereich hinweist. Derzeit hätten die ÖBB 1.200 Lokführer zu wenig, sodass die vorhandene Lokführer-Mannschaft 1,05 Millionen Überstunden leisten musste. Vor allem in Ostösterreich hätten manche Kollegen mittlerweile 400 bis 700 Überstunden auf ihrem Konto - im Schnitt wären es 22 pro Monat - und seit Monaten keinen freien Tag mehr gehabt. Dem Unternehmen, betont der oberste Eisenbahner, falle nun die "radikale Dienstplangestaltung" auf den Kopf. Doch damit sei es nicht genug: Trotz des seit langem bekannten Personalmangels wolle nun der Vorstand in den nächsten Jahren 7.000 Arbeitsplätze einsparen, davon wären 300 Lokführer betroffen. "Vielleicht sollen die Züge wieder mit Pferden gezogen werden", ätzt Haberzettl, der der ÖBB-Führung völlige Konzeptlosigkeit bei Personalentscheidungen vorwirft.
Grund für die derzeitigen Proteste sei, so Haberzettl, das Urteil eines Gerichts. Ein Lokführer, der in seiner Freizeit freiwillig gearbeitet hatte, wurde die Mitschuld an einem Unfall angelastet.
In einer Aussendung verlangt der ÖBB-Vorstand "das Ende der Aktionen". Die ÖBB bildeten pro Jahr 200 Lokführer aus, damit sei der Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern gedeckt, lässt die ÖBB-Spitze wissen. Mit dem Hinweis auf notwendige Strukturreformen für den liberalisierten Verkehrsmarkt beharrt der Vorstand auf sein Maßnahmenpaket. Auch die Gewerkschaft könne sich "notwendigen Reformen nicht verschließen".