Mit ungewohnt scharfen Tönen reagierten die Gewerkschaftsvertreter gestern auf das Sparpaket der Bundesregierung. "Dieses Paket macht die Opfer zu Tätern", empörte sich ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch über das Vorhaben, eine Wartefrist von vier Wochen auf Arbeitslosengeld bei einvernehmlicher Auflösung des Dienstverhältnisses und bei Auslaufen des Dienstvertrages einzuführen. Auch Fritz Neugebauer, Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) will sich gegen die Einführung der Frist wehren: "Diese trifft unsere Vertragsbediensteten." Der GÖD-Chef hob hervor, dass 80 Prozent der Befragten - alle Couleurs und auch Nicht-Mitglieder - für Kampfmaßnahmen gestimmt hätten.
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Ein besonders drastisches Bild zeichnete Rudolf Kaske, Vorsitzender der Gastgewerbe-Gewerkschaft falls die Maßnahmen bleiben: "Wir werden die Stimme der Arbeitslosen sein. Wenn dieses Arbeitslosenheer marschiert, brennt die Republik." Kaske vertritt rund 150.000 Arbeitnehmer bei den Kollektivvertragsrunden, unter ihnen viele Saisonarbeitskräfte, welche von der Regelung besonders hart getroffen würden. Er bezeichnete die Gesetzesvorlage, die 70.000 Arbeitnehmer seines Bereichs treffen würde, als unzumutbar.
Kaske betonte, es drohe eine Berufsflucht, sollten Arbeitnehmer zwei Monate pro Jahr kein Arbeitslosengeld bekommen: "Die Regierung kann nicht einfach 1,2 Milliarden auf dem Rücken der Saisonniers einsparen." Stattdessen sollten die Verantwortlichen das Arbeitszeitmodell der Gewerkschaft umsetzen, das nach dem Motto "wer viel arbeitet, soll länger angemeldet werden" erstellt wurde. Zur Problematik gebe es laufend Gespräche mit den Arbeitgebervertretern. Verzetnitsch relativierte die Brand-Metapher seines Vorredners: "Wir werden nicht mit Fackeln durchs Land ziehen und alles anzünden." Er kündigte verschärfte Aktivitäten an und schloss auch einen Generalstreik nicht aus. Ein Stufenplan sei schon erstellt, in der ersten Phase sind Informationsveranstaltungen geplant. Die weitere Vorgangsweise wollte der ÖGB-Chef noch nicht darlegen. "Was jetzt geschieht, ist ungeheuerlich", beurteilt Johann Driemer, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, die Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung: "Mit Einführung der Wartefrist wird das Risiko auf die Schwachen abgewälzt. Aber es gibt auch eine generelle Senkung des Arbeitslosengeldes." Menschen ohne Arbeit, so Driemer, haben in Zukunft weniger Geld zu erwarten. Der Entwurf sieht vor, dass die Nettoersatzrate von 56 auf 53 Prozent abgesenkt wird.
Weniger Arbeitslosengeld
Die Nettoersatzrate gibt das Verhältnis zum Nettolohn an und ist jener Betrag, den ein Arbeitsloser bar auf die Hand bekommt. "Die Armutskonferenz fordert schon seit Jahren eine Anhebung dieser Quote nach dem Vorbild europäischer Länder", so Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie gegenüber der "Wiener Zeitung".
Das von der Regierung geschnürte Paket sei "treffsicherer Sozialabbau", sagte Verzetnitsch. Es werde immer klarer, dass der ÖGB nicht prinzipiell Oppositionspolitik gegen die neue Regierung betreibe, sondern jede Regierung danach beurteile, was sie für die Arbeitnehmer mache. Er wies darauf hin, dass nicht nur einzelne Branchen, sondern jeder Arbeitnehmer vom Sparpaket betroffen sei: "Pro Jahr wechseln rund 700.000 Dienstnehmer ihr Arbeitsverhältnis.
Streik der Beamten?
Die GÖD hält ihre Streikdrohung aufrecht. Gestreikt würde jedoch nicht während laufender Verhanglungen, diese sind nur noch bis zum 5. Oktober möglich. Neugebauer schilderte zwei mögliche Szenarien: Entweder werde er dem Zentralvorstand am Freitag einen ausverhandelten Kompromiss empfehlen, oder aber die Einleitung von Kampfmaßnahmen erwägen. Dass dies einen Streik bedeuten würde, steht für Neugebauer außer Zweifel.
Die Unterstützung dafür hat sich die Gewerkschaft bei den am Dienstag abgehaltenen Betriebsversammlungen geholt. Nach Angaben Neugebauers votierten dabei 95 Prozent für die Einleitung von Kampfmaßnahmen, sogar 80 Prozent für einen "Paukenschlag", sprich einen eintägigen Streik. Die Beteiligung an den Abstimmungen lag laut Neugebauer bei 50 Prozent. Der GÖD-Vorsitzende wandte sich gegen den Verhandlungsstil der Regierung. Bei den Verhandlungen gehe es nicht um den Versuch einer Problemlösung, sondern es gebe einen "Schüttelfrost der Erregung".
Der GÖD-Chef machte klar, dass er mit dem Angebot von 1,2 Prozent mehr Lohn nicht leben könne. Die geforderten 2,87 Prozent seien ohnehin moderat ausgefallen. Mit dem Angebot werde weder die prognostizierte Teuerungsrate von 1,7 Prozent abgegolten, noch gäbe es einen Anteil am Wirtschaftswachstum.