Rom - Der seit Monaten andauernde Kampf um die Aufweichung des Kündigungsschutzes in Italien erreicht heute, Dienstag, den Siedepunkt: Mit einem achtstündigen Generalstreik, dem ersten seit 20 Jahren, fordern die italienischen Gewerkschaften die Regierung von Silvio Berlusconi zu einer Zerreißprobe heraus, die Italiens soziales Klima wie seit langem nicht mehr vergiftet. Die 70er Jahre mit ihren massiven Arbeitskämpfen scheinen zurückgekehrt zu sein.
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Die Stabilität und der soziale Frieden, die Berlusconi nach seinem Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Mai 2001 versprochen hatte, klingen wie leere Slogans: Die Realisierung seines Wirtschaftsprogramms bereitet dem Mailänder TV-Tycoon wegen des hartnäckigen Widerstands der Gewerkschaften unerwartet große Schwierigkeiten.
Artikel 18 des 1970 eingeführten Arbeitsstatuts, den Berlusconi revidieren will, ist zum Symbol des "neuen Frühlings" geworden, den die Gewerkschaften in den letzten Monaten erleben. Während die Politiker des oppositionellen Mitte-Links-Bündnisses noch stark unter der Identitätskrise nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen leiden und an Glanz eingebüßt haben, ist Gewerkschaftschef Sergio Cofferati, Führer des stärksten Arbeitnehmerverbands in Italien, CGIL, zum neuen charismatischen Sprecher der italienischen Linken aufgerückt.
Die linksorientierten Wähler, die wie betäubt auf den deutlichen Sieg Berlusconis im vergangenen Jahr reagiert hatten, fassen neuen Mut und rücken im Kampf gegen die Aufweichung des Kündigungsschutzes wieder zusammen. Die Beteiligung an Demonstrationen und Protesten war seit Jahren nicht mehr so enthusiastisch. Die Parole, die der Linken nach einer tiefen Identitätskrise wieder Schwung verleiht, lautet: "Hände Weg von den Arbeiterrechten!" Die Gefahr eines Abbaus des Arbeiterstatuts, den Berlusconi im Namen der notwendigen Flexibilität des Arbeitsmarkts fordert, brachte Massen von Arbeitnehmern, Gewerkschaften, Politikern und Intellektuellen wieder auf die Straßen, wie man sie in Italien seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der Generalstreik, an der sich laut Schätzungen der Gewerkschaften 12 Millionen Menschen beteiligen sollten, ist die zweite große Kraftprobe binnen drei Wochen, mit der sich die Arbeitnehmer gegen Berlusconi stemmen. Am 23. März hatten zirka zwei Millionen Personen in Rom gegen die Regierungspläne demonstriert. Sollten sich die Italiener auch an dem Generalstreik massiv beteiligen, könnten die Gewerkschaften mit stärkerem Gewicht an den Verhandlungstisch zurückkehren, wie es Berlusconi seit Wochen mit Nachdruck fordert.
"Nach dem Generalstreik wird Berlusconi nachgeben müssen", versicherte Cofferati. Der Regierungschef zeigte aber noch keine Absicht, auf seine liberalen Reformpläne zu verzichten, von deren Konkretisierung auch seine bisher idyllischen Beziehungen zum einflussreichen Unternehmerverband "Confindustria" abhängen. Erst vergangene Woche hatten die Industriellen Berlusconi beschuldigt, nicht zügig genug die Reformen durchzusetzen, die er während der Wahlkampagne versprochen hatte.
Die Regierung habe sich in ihrem Programm verpflichtet, den italienischen Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Die Koalition sei im Parlament stark genug, um trotz der Proteste ihre Anliegen durchzusetzen, sagten die Unternehmer. "Schluss mit leeren Worten, nun zählen die Fakten", sagte Industriellen-Chef Antonio D'Amato. Zu den Reformen, die die Regierung zügig vorantreiben müsse, zähle auch die Liberalisierung des Pensionsalters sowie die Reform des komplizierten Steuersystems.
Sollte Berlusconi den Gewerkschaften trotzen und auch im Fall eines Erfolgs des Generalstreiks die umstrittene Aufweichung des Kündigungsschutzes verabschieden, bleibt der Linken ein letzter, extremer Schritt: Eine Referendumskampagne gegen die umstrittene Reform einzuleiten. "Wir werden leicht eine halbe Million Unterschriften gegen Berlusconis Pläne sammeln", sagte Oppositionschef Francesco Rutelli. Die Gewerkschaften hoffen jedoch, dass eine Massenbeteiligung am Streik Berlusconi sofort überzeugen wird, auf seine Pläne zu verzichten.