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Gewerkschafter über die Zukunft der Solidarität

Von Alexandra Grass

Politik

Nur eine solidarische Politik könne zukunftsfähig sein · eine solche sei "Garant für eine wirklich demokratische Gesellschaft", betonte Hörfunkintendant Manfred Jochum zur Begrüßung anlässlich des | zehnten ORF-Zukunfts-Symposiums im RadioKulturhaus zum Thema Solidarität Dienstagabend.


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In seiner Eröffnungsrede warnte Bundespräsident Thomas Klestil vor einer fortschreitenden "Entsolidarisierung", die die "gefährlichste Bedrohung unserer Zeit" darstelle. Sicherheit werde von den

Menschen primär durch Solidarität gesucht. (Klestil-Rede im Wortlaut nachzulesen in der Ausgabe vom 10. November auf Seite 18)

Weitere Prominenz dieses Abends: Fritz Verzetnitsch vom Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel und der Präsident der Industriellenvereinigung, Peter Mitterbauer.

Solidarität in der Praxis

Ein prominenter ausländischer Gast beim Symposium war die indonesische Gewerkschafterin Dita Indah Sari. Sie war bis Juli wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit inhaftiert und kam nach drei

Jahren Gefängnis auf internationalen Druck · u.a. des ÖGB · frei. Dita Indah Sari zeigte sich überzeugt, dass in Europa die Gewerkschaften mit den finanziellen Mitteln ihre Mitglieder leichter

mobilisieren könnten und die Solidarität hier daher viel stärker ausgeprägt sein sollte.

Der Brief des ÖGB sei der erste gewesen, der sie in der Haft erreicht habe. Dessen Engagement um ihre Freilassung sei ein Zeichen eines klaren Verständnisses von Solidarität in der Praxis gewesen.

Verzetnitsch betonte, dass Solidarität heute weltweit geübt werden müsse. Der ÖGB verstehe Solidarität auch als Beitrag im Kampf um Demokratie, Menschenrechte und Frieden. Eine sich verbreiternde

"Ich-bin-ich-Mentalität" sei eine von den Gewerkschaften nicht zu akzeptierende Entwicklung, so Verzetnitsch.

Mitterbauer sprach über die "Neue Ökonomie der Solidarität" und ortete dabei "mehr als genug an dringendem Reformpotential". Der Ball liege bei der Politik, so Mitterbauer. Der Staat solle durch

klare Rahmenordnungen die Marktdynamik sichern und die "Solidarität des Sozialen" erhöhen.

Tumpel sprach über Ungleichheiten am Arbeitsmarkt · wie Wiedereinstiegsprobleme von Müttern oder die Probleme älterer Arbeitnehmer. Grundsätzlich müsse Beschäftigungspolitik "den Menschen tatsächlich

Beschäftigung ermöglichen". "Heftig" trat Tumpel dafür ein, Arbeitslosigkeit nicht durch das Arbeitsmarktservice nur zu verwalten, sondern den Arbeitslosen fehlende Qualifikationen zu vermitteln.

"Die Solidarität ist der Königsweg der Menschlichkeit", sagte der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner. Der Jesuitenpater Georg Sporschill sprach über seine Arbeit mit rumänischen Straßenkindern.

Über 200 Kinder haben in Sporschills Projekt-Häusern in Bukarest Unterschlupf und einen Familienersatz gefunden. Die Straßenkinder hätten ihn "wie niemand anderer an die Wurzeln der Solidarität

geführt".

"Jugendkult" und Markt

Sozialforscher Bernd Marin beleuchtete die Solidarität von Generationen und Geschlechtern untereinander. Mit vielen Tabellen belegte er u. a., dass unbezahlte Arbeit durch die

Arbeitszeitverkürzung massiv zugenommen habe. Durch einen "Jugendkult" würden die Leute in den Betrieben immer früher altern, im Leben dagegen immer später. Er klagte gegenüber der Politik Arbeit und

Einkommen für alle ein. Das erfordere einen "nachhaltigen Sozialumbau". Obwohl beispielsweise Frauen oder Arbeiterschaft längst keine homogenen Gruppen mehr seien, sollten gewisse Dinge außer Streit

gestellt werden, etwa eine Umverteilung hin zu den geringeren Pensionen.

Die Motivforscherin Helene Karmasin glaubt, dass Solidarität für den Markt nur eine geringe Rolle spielt. Der Solidaritäts-Prüfstein sei dort, wo man die Menschen nicht kenne und man von

solidarischem Handeln "nichts hat". Im Gegensatz zum Dasein in der Familie oder in Vereinen sei der Mensch auf dem Markt ein "isoliertes Individuum"; gleichzeitig bräuchten Märkte auch die

Solidarität nicht, um zu funktionieren. Karmasin ist überzeugt, dass Konsumenten auch für Solidarität begeistert werden können.